Europa hat uns wieder

Dem nächtlichen Flugzeugdonner zum Trotz starten wir gut ausgeruht in den Tag. Wir springen bei En Bokek nochmal schnell ins Tote Meer und machen uns dann auf den Weg nach Haifa. Im Vergleich zu den oft eintönigen Strecken durch die saudi-arabische Wüste bietet diese kaum mehr als 250km lange Strecke jede Menge Abwechslung und einen guten Querschnitt von Israel. Von den Tiefen des Toten Meeres kommend streift man noch einmal die Ausläufer der Negev-Wüste, die zunehmend von fruchtbaren und landwirtschaftlich genutzten Flächen abgelöst werden. Nahe Tel Aviv quält man sich durch dichtbesiedelte Gebiete und übervolle Straßen und folgt dann auf längerer Strecke der Grenze zum Westjordanland, wobei nicht immer klar ist, ob die teilweise sichtbaren Mauern als Lärmschutz oder tatsächliche Abgrenzung dienen sollen. Nach hügeligen fast bergigen Kilometern fährt man dann die letzte Strecke eben Richtung Mittelmeer.

Nach unserer Stippvisite im November ist Haifa Zentrum noch nicht ganz unsere Westentasche, aber wir rollen schon ziemlich abgeklärt auf unseren Stammparkplatz. Schnell ins nahe Hostel einchecken und versuchen ins verflixt sperrige WLAN einzusteigen. Ich muss dringend mit der Reederei Salamis Kontakt aufnehmen und will mich unbedingt bei Oli melden, der aktuell ebenfalls mit Familie in In Israel weilt. Wenn ich schnell bin, könnte es noch mit einem Treffen in Haifa klappen. Das WLAN-Signal im Zimmer bricht ständig ab. Schnell runter in den Aufenthaltsraum, hier ist es aber leider kaum besser. Ohne israelische SIM-Karte ist man echt der Mops. Doch woher so schnell eine Karte nehmen, wenn nicht stehlen. Auf einmal klingelt das Telefon, eine mir unbekannte/israelische Nummer ruft an. Okay, pfeif auf Roaming-Gebühren, das kann doch fast nur Gutes bedeuten. Tatsächlich ist Oli am Telefon und er ist schönerweise auch noch in Haifa. Noch viel schöner, sie haben witzigerweise genau den gleichen Parkplatz wie wir genutzt (bei einer Stadt mit 300.000Einwohnern nicht unbedingt selbstverständlich) und sich bei der Rückkehr an ihr Auto gewundert, dass zwei Fahrzeuge weiter ein bildhübsches rotes Bussle mit Esslinger Nummer steht. Was für ein genialer Zufall!

Nach der großen Wiedersehensfreude in der Ferne heißt es kaum zwei Stunden später schon wieder Abschied nehmen von Oli, Mika und Robin. Temporär Abschied nehmen heißt es dann vor allem auch am nächsten Tag von unserem Roten Flitzer. Kurz Abklatschen bei Rasheed von Rosenfeld Shipping, in 5min das WM-Finale aufarbeiten und dann schnell ins Hafengetümmel. Das Prozedere ist zum Glück nicht halb so beschwerlich wie bei der Ausschiffung im November und kaum zwei Stunden später sitzen wir schon im Zug Richtung Tel Aviv.

Der Titelträger 2021 "Teuerste Stadt der Welt" (2022 "leider" abgerutscht auf Platz 3) empfängt uns mit milden Temperaturen und dem Flair einer Weltstadt. Dazu gehört leider oft eben auch, krasse Gegensätze zwischen reich und arm und damit auch Obdachlose in den Straßen. Ein Bild, das wir nach zwei Monaten in den arabischen Ländern schon etwas verdrängt hatten. Viel Zeit bleibt uns nicht Tel Aviv mit all seinen Widersprüchen zu erleben, schon am Folgetag um 2:40Uhr in der Früh steht das Taxi vor der Türe. Der Flieger nach Athen geht früh und zudem sollte man beim Abflug aus Israel wegen den besonderen Sicherheitsvorkehrungen noch einmal früher am Flughafen erscheinen.

Hast Du nicht gesehen, schon sind wir wieder in Griechenland. Da war doch was im November. Der 6.Januar ist Feiertag in Griechenland und ganz Athen scheint in Bewegung. Die Temperaturen sind noch topp (nahe an 20°C), die Stadt pulsiert und auch beim zweiten Besuch entdecken wir noch unzählige neue und originelle Graffitis und Kunstwerke. Kleiner Wermutstropfen, Isabel und Ellie müssen per Flieger die Heimreise antreten. Ich bin jetzt alleine und vor allem richtig alleine. Denn die Rote Rakete dümpelt noch irgendwo im Mittelmeer zwischen Israel, Zypern und Griechenland.

Irgendwann hat man sich doch an den unzähligen Graffitis satt gesehen, zu viele unnötige Bilder von der Akropolis gemacht und genug von halbstarken Randalierern im Hostel-Nachbarzimmer. Zeit für einen Tapetenwechsel und vor allem Zeit, im Hafen von Lavrio nach der Vassilios Ausschau zu halten. Mit besagtem Schiff soll der Rote Flitzer angeliefert werden. Schnell noch den Vessel-Tracker checken, ob der angesagte Fahrplan noch stimmt, dann bin ich auch schon am Kai. Die RoRo-Fähre (Roll-On/Roll-Off) wird schon fleißig entladen, doch die RoRa (Rote Rakete) steckt anscheinend noch tief im Schiffsbauch fest, Geduld ist angesagt.

Knapp zwei Stunden und ersten Zweifeln später, sehe ich den Flitzer von der Rampe rollen. Fast, aber nur fast rollen mir Tränen der Ergriffenheit über die Wangen. Spaß beiseite, es fühlt sich in der Tat gut an mein Rückfahrticket in die Heimat wohlbehalten wiederzusehen. Die Ausschiffung ist so unproblematisch und einfach, wie selbstverständlich darf ich zu Fuß durch das Hafengelände laufen (siehe dazu im Vergleich die Erfahrungen in Hamburg 2015), dass ich mir zum wiederholten male denke, eine Mischung aus griechischer Laxheit und deutscher Ernsthaftigkeit wäre sicher oft ein optimaler Mittelweg.

Zehn Minuten nach Ankunft am Kai-Eingang, bin ich schon wieder runter vom Gelände und nehme nicht viel später die E75 unter die Reifen. Die über 4000km lange Europastraße führt von Nord-Norwegen bis nach Kreta und war auch schon auf der Hinfahrt Teil meiner Route. Erst mit Sonnenuntergang verlasse ich die Fernstraße wieder und suche mir am Fuße des Olymps einen Plätzchen für die Nacht. Das höchste Gebirge Griechenlands ragt direkt neben dem Meer fast 3000m in die Höhe. Auch hier liegt für die Jahreszeit zu wenig Schnee, aber ein kleines Sahnehäubchen ziert doch den beeindruckenden Gebirgszug. Fürwahr ein würdiger Schlafplatz um hier die letzte griechische Reisenacht zu verbringen.

Datum: 08.01.2023 (Tag 83) - Tachometerstand: 177.981 km - gefahrene Kilometer: 13.936 km (davon Asien: 10.509 km) - Ort: Plaka (Griechenland)

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