Wettrennen mit Chris

Der Auftakt in Saudi Arabien war positiv. Die Menschen begegnen uns sehr freundlich und mit dem deutschen Kennzeichen sind wir der Hingucker auf der Straße. Von allen Seiten werden wir freundlich angehupt und in Buraydah steigt auf der Autobahn bei voller Fahrt ein vermeintlicher Fan halb aus dem Fenster um uns freudig zu grüßen. Doch ganz schlau werden wir nicht aus dem Land. Saudi Arabien ist im Aufbruch und im Wandel. Viele Dinge, die bis vor kurzem undenkbar erschienen, wie beispielsweise autofahrende Frauen, sind allerorten zu sehen. Und zu unserer großen Überraschung gibt sogar der amerikanische Popstar Usher ein Konzert in der saudischen Provinz. Doch wir wissen oft nicht wo die Grenzen des Erlaubten verlaufen und abgesehen von Ausnahmen ist die Verständigung sehr kompliziert. Englisch wird nur sehr rudimentär gesprochen. Am ehesten noch dort, wo im großen Stil der Tourismus angeschoben werden soll; z.B. in Al Ulla. Saudi Arabien hat mit seiner Vision 2030 große Pläne für die Zukunft (wie z.B. die Zukunftsstadt Neom) und dabei spielt auch der Tourismus eine große Rolle. Er soll eine wichtige Einkommensquelle für die Zeit nach dem Erdöl darstellen.

Da unser Arabisch einfach jämmerlich ist und wir über "Salam aleikum" kaum herauskommen, heißt es deshalb schnell nach Al Ulla flitzen um Land und Leute besser kennenzulernen. Ich nehme es mit dem "flitzen" etwas zu wörtlich und fahre volle Lotte mitten in einsamer Wüste in einen Blitzer. Zu unserer Überraschung stehen hier selbst im letzten Winkel weitab jeder Zivilisation die Blitzkästen an der Straße. Mal sehen was dieses mal aus meinem Vergehen erwächst, nach den "Problemen", die wir in der Türkei hatten. Doch der Blitzer kann unsere Freude nicht trüben. Die Landschaft, vor allem in der Nähe von Al Ulla ist wirklich sensationell. Overlander-Herz was willst Du mehr, ein einziges Wildzelt-Eldorado. Doch unsere Rote Rakete ist leider nicht dafür gemacht. Viele schöne Plätze sind nur schwer mit Allrad bzw. viel Bodenfreiheit zu erreichen. Also auf die Schmalspurlösung, den offiziellen Zeltplatz, ausweichen. Doch an der genannten Koordinate findet sich alles bloß kein brauchbarer Abzweig zum vermeintlichen Nachtplatz.

Schnell mal raus aus dem Auto und den Kollegen bei der stillgelegten Tankstelle befragen. Lange sind wir nicht allein, bald ist eine Mannschaft von zehn hilfsbereiten Personen aus aller Herren Länder zusammen. Saudi Arabien ist ein Vielvölkerstaat mit etlichen Gastarbeitern vor allem aus asiatischen Ländern. Doch die Verständigung wird dadurch nicht einfacher. Eine Person bedeutet mir, er hat die Polizei angerufen, sie wird gleich kommen und eine Lösung für uns finden. Dann kommt noch ein besonders gut gelaunter Beduine mit seinem Pickup vorbei. Er scheint unser Problem (Nachtplatzsuche) sofort zu durchschauen und deutet mir an einzusteigen, er will mir den Platz/Abzweig zeigen. Dummerweise verpasse ich in der allgemeinen Hektik Chris zu informieren, der weitab entfernt immer noch im Auto sitzt. Da donnert mein Fahrer auch schon los. Glücklicherweise sind wir schon bald am Abzweig, er fährt die Holperstrecke ein paar Meter rein. Alles klar, ich weiß jetzt, wo wir hinmüssen und bedeute ihm anzuhalten. Ich mache mir Sorgen, dass Chris denkt, ich wäre entführt worden. Der schlaue Junge ist aber selbst schon unterwegs, das Cleverle ist uns nachgefahren, wie wir beim Blick auf die Straße sehen können. Aber wo fährt der Held jetzt hin, er knallt volle Möhre am Abzweig vorbei. Mir wird es ganz anders, was passiert da? Mein beduinischer Freund lacht nur schallend und wir rumpeln hektisch auf die Straße zurück. Chris verschwindet in der einsamen Ferne. Jetzt dreht mein treuer Chauffeur richtig auf und zwar bis auf 160 (zum Glück ist hier ausnahmsweise mal kein Blitzer am Straßenrand). Nervös nestle ich nach dem Sicherheitsgurt. Mein immer noch gut gelaunter Fahrer bedeutet mir aber nur, weglassen, brauchen wir nicht. Dann sind wir nach rasender Fahrt endlich nahe genug an Chris dran und er erkennt unsere hektische Lichthupe im Rückspiegel; puuh, das hätte auch anders ausgehen können (Verständigung ohne saudische SIM-Karte ist schwer). Tausend mal bedanken bei unserem immer noch fröhlich lachenden Hobby-Rennfahrer und dann zurück zum Abzweig. Ironie des Schicksals. Der vermeintliche Weg zum Camping wird mit dem jedem Meter schlechter und wechselt zwischen tiefsandigen und Wellblechpassagen. Bevor wir überhaupt einen brauchbaren Nachtplatz finden, müssen wir entnervt aufgeben.

Der Folgetag läuft dann etwas erfolgreicher. Wir besuchen die Palmenoase und die Altstadt von Al Ulla. Wir können uns aber nicht ganz entscheiden, ob uns die disneylandartige Vermarktung der historischen Stätte wirklich gefallen will. Was uns auf jeden Fall gefällt, sind die Ausgrabungsstätte von Hegra. Der saudische Zwilling zur Nabatäerstadt Petra ist sehr sehenswert. Wie so vieles in Saudi Arabien lässt sich so ein Besuch aber nicht selbst organisieren, sondern erfolgt durchorchestriert durch die Tourismusbehörden. Doch die Orga und Begleitung vor Ort ist einwandfrei und wie gewohnt, superfreundlich.

Nachdem wir in Al Ulla und Umgebung einige Touristen aus dem Westen (darunter auch aus Deutschland) und auch verschiedene Selbstfahrer getroffen haben, sind wir dann wieder einige Tage "alleine". Wir haben uns entschieden, drei Fahrtage einzulegen, denn in nicht allzu weiter Zukunft warten in Dubai mit Andi und Luchs weitere Mitfahrer auf uns und bis Dubai sind es noch mehr als 2000km. Saudi Arabien ist einfach riesig, wir haben das unterschätzt. Die Fahrerei ist dann schon ziemlich zäh, aber zum Glück sind die Straßen zu 90% topp. Die Landschaft wechselt dabei zwischen sensationell schöner Berglandschaft, wunderschönen Sanddünen und traumhaften Wadis und Oasen, aber auch oberlangweilige Ebenen und viel verbaute und vermüllte Abschnitte säumen unseren Weg. In Riad führt die Autobahn mitten durch das Herz der Stadt, so haben wir hier noch einmal etwas Sightseeing. Richtig erwärmen können wir uns für die meisten Städte aber nicht. Diese sind im Normalfall gnadenlos auf Autos zugeschnitten. Kein Wunder bei einem Erdölland, das ausreichend Platz zur Verfügung hat. Als Fußgänger sucht man oft vergeblich nach einem brauchbaren Fußweg.

Während der langen Weiterfahrt wollen wir dann auch noch einmal die Technik checken und erleben einen Riesenschreck. Motorhaube auf und was ist das? Der Motor lebt, über Nacht hat es sich eine Katze neben dem Motorblock bequem gemacht. Zum Glück hat sie nicht, wie seinerzeit in Zentralasien, Murmeltier-Innereien eingelagert - siehe Tadschikistan 2009. Unser treuer Roter Flitzer kann deshalb auch nach dem nächtlichen Besuch (ohne Katze) wie ein Einserle weiterschnurren.

In Haradh, südlich von Riad, erreichen wir den Rand des Leeren Viertels. Haben wir uns vorher beim Durchfahren der Wüstenlandschaften oft gewundert, wo überall noch Menschen leben, so gibt es hier tatsächlich keine menschliche Siedlungen mehr. Die angrenzende Rub`al Khali gilt als die größte Sandwüste der Welt und als besonders menschenfeindlich. Doch die Straße ist alles andere leer. Wir sind auf der Hauptachse zwischen Riad und den Vereinigten Emirate und auch wenn zwischen Haradh und Grenze auf 250km keine einzige Ortschaft kommt, so ist der Verkehr doch sehr rege. Zudem ist die Gegend um Haradh Ölförderland, überall sieht man die Gasfackeln brennen, was dafür sorgt, dass etliche Firmen hier Baustellen betreiben.

Wir verlassen Saudi Arabien und erreichen Abu Dhabi und ärgern uns, dass wir die Sensation (Saudi Arabien - Argentinien 2:1) im Nachbarland erleben müssen. In Saudi Arabien wurde nach dem Sensationsieg anscheinend spontan ein Feiertag ausgerufen und auf den Straßen ist sicherlich die Hölle los. Wir sind aber leider nicht mehr vor Ort.

Datum: 22.11.2022 (Tag 36) - Tachometerstand: 172.072 km - gefahrene Kilometer: 8027 km (davon Asien: 5065 km) - Ort: Abu Dhabi (Vereinigte Arabische Emirate)