Im Land der glücklichen Menschen

Was den Brasilianern das Pantanal, ist den Argentiniern die Esteros del Ibera, eine wilde Naturlandschaft mit zahlreichen Tieren; laut Wikipedia das zweitgrößte Feuchtgebiet der Erde. Unser Heimathafen Carlos Pellegrini ist ein sehr bescheidenes Kuhnest, das kaum die Möglichkeit bietet Brot zu kaufen, doch es ist der perfekte Startort für Bootstouren in die Laguna Ibera. Fast schon peinlich erscheint mir im Rückblick der stolze Tagebucheintrag an den Wasserfällen des Iguazu einen Kaiman gesehen zu haben. Hier gibt es die Reptilien im Überfluss. Auf der ersten Bootstour gibt es bei den ersten Kaimanen noch ein Ah und Oh, dann stellt man schnell fest, daß hier mehr Kaimane unterwegs sind als Nasenbären an den Wasserfällen. Spannenderweise gibt es die Krokodile auch in allen Größen von MiniMini und kaum 20cm bis ca. 3m Länge. Affen, Wasserschweine und vor allem Vögel begegnen uns ebenfalls im 10er-Pack. Selten war ich bei einer Tour so begeistert, was die angetroffene Tierwelt betrifft. Bei der zweiten Bootstour sehen wir deutlich weniger Tiere, das ist aber dem Umstand geschuldet, dass wir nachts unterwegs sind. Dafür ist die Atmosphäre bei der Fahrt durch die Dunkelheit umso beeindruckender. Bei einem grandiosen Sternenhimmel beobachten wir die Kaimane bei der Jagd und fühlen uns eins mit der Natur.

Eins mit der Wildnis fühlen wir uns dann auch wieder bei der Abreise, als wir noch einmal 80km Piste stemmen dürfen. Dann taucht im Niemandsland wie ein Ufo ein wunderbar ebenes Asphaltband auf. Wer baut in dieser Einöde eine so herrliche Straße. Egal, nicht fragen, sondern dahingleiten nach Mercedes und noch ein paar Kilometer weiter zur Pilgerstätte des Gauchito Gil, dem Helden und Volksheiligen der Argentinier. Die ganze Anlage ist an Kitsch kaum zu überbieten, aber ein willkommener Zwischenstopp und Ellie freut sich eine Kerze für den Gauchito anzünden zu dürfen.

Am späten Nachmittag erreichen wir Empedrado und wieder einen super Zeltplatz. Eigentlich zelten wir gerne auch wild, aber dazu hat man hier gar keinen Bedarf. Dieses mal zahlen wir kaum mehr als 3,-€, haben edle heiße Duschen, 220V-Anschluss, einen Bach zum spielen für Ellie, einen Strand am Parana und allein sind wir in der Nebensaison sowieso. Nun gut, am späten Sonntagnachmittag vergnügen sich hier noch ein paar Ausflügler. Die einen überreizen ihre Autobatterie durch massive Musikbeschallung und benötigen später unser Überbrückungskabel. Den Anderen muss ich beim Auto freigraben und aus dem Sand schieben helfen, dann sind wir aber für zwei Tage an unserem Traumplatz wirklich ganz allein.

Wir folgen dem Parana flussaufwärts. Wie Empedrado ist Ita Ibate vor allem bei Hobbyanglern beliebt. Wer sich kein Boot leisten kann, angelt vom Ufer und muss sich mit 2-3kg schweren Fischen zufrieden stellen. Wer die Herausforderung liebt, der fährt mit dem Motorboot in die Flussmitte und kann mit etwas Glück einen Wels von weit über 50kg aus dem Wasser ziehen, irre Brocken. Schon der 35kg-Fisch, den unser Zeltplatzchef heute aus dem Wasser gezogen hat, passt fast nicht mehr in die riesige Tiefkühltruhe. Auch in Ita Ibate sind wir mal wieder alleine auf dem Camping bis eine Gruppe Gitanos/Zigeuner vorbeikommt. Die nette Mannschaft verwickelt mich gleich mal ins Gespräch und zur Verbrüderung beschenken wir uns gegenseitig mit Glücksmünzen. Leider vertreibt der etwas sture Pächter die Jungs später wieder. Wir sind wieder alleine auf dem Zeltplatz.

Noch einmal kreuzen sich unsere Wege mit dem Parana. Bei Posadas queren wir den Fluss über eine der wenigen Brücken die den Parana überspannen und reisen bei Encarnacion nach Paraguay ein. Die Einreiseformalitäten sind relativ schnell erledigt und die Beamten sehr freundlich. Da sich fünf Mitarbeiter das Formular teilen, bleibt genügend Zeit für einen Plausch. Ein Sonnenbrillenträger präsentiert seine Deutschkenntnisse. Er hat Verwandtschaft in Schalke Zero Quattro und kennt die Klassiker "Isch liebe Disch", "Gib mir bitte eine Kuss" und das unausweichliche "Heil Hitler" serviert mit gerecktem rechten Arm. Meinen Hinweis, daß der letzte Gruß in Kombination mit der Armhaltung in Deutschland unter Strafe steht, überrascht sie, findet aber auch ihr Verständnis.

Wir sind drin im Land der Glücklichen. Laut einer Gallup-Umfrage hat weltweit 2012 und 2013 keine Nation angegeben so glücklich zu sein wie die Paraguayaner; wir sind gespannt. Schnell Geld wechseln, dann zuckeln wir weiter. Die erste zwischenmenschliche Begegnung gibt es als wir fast in ein querstehendes Auto rammen. Die nur aus Rost bestehende Karre macht keinen Mucks mehr und ein Kumpel lenkt, während der Kollege versucht das Klapperteil gegen den Hang von der Straße zu schieben. Da tut Hilfe not, ich gehe den zwei Jungs zur Seite, die sich auch freudig bedanken, aber auch noch herrlich entspannt sind trotz ihrer "Notlage". Vielleicht ist ja wirklich was dran am Glücksmythos Paraguay. Am Wetter kann es kaum liegen. Obwohl wir eigentlich das Ende der ausgehenden "Trockenzeit" haben , sind für die Hauptstadt Asuncion etwa 13 Regentage in Folge angesagt. Am Wetter kann es also nicht liegen, aber vielleicht ja am Geld. Für einen Euro bekommt man 5500,-Guarani, was bedeutet dass fast jeder Einheimische Millionär ist. Auch ich lasse am ersten Bankomat gleich mal 1,5 Millionen für uns raus.

Unsere erste Station ist die deutsche Kolonie Hohenau. Anfang letzten Jahrhunderts sind die Leute aus Pommern kommend hier eingewandert. Der Zeltplatz ist Weltklasse und am ersten Abend werden wir gleich vom Besitzer angefragt, ob wir mit ihm und seinem Jeep eine (Kontroll-)Runde über sein Land fahren möchten. Er will nach seinen Rindern schauen. Was für eine geile Tour durch Matsch und Urwald. Durch den Starkregen der letzten Tage sind die Pisten eine reine Matschlandschaft, fast schon unbefahrbar. Für den kommenden Tag fragt er an, ob wir bei einer anderen Dschungelfahrt teilnehmen wollen. Da geht es dann mit dem Allrad-LKW (Daimler/Baujahr 1958) sogar durch den Hochwasser führenden Fluss. Wir sagen begeistert zu und sind gespannt auf diese Tour.

Datum: 25.09.2014(Tag 134) - Tachometerstand: 242 216km - gefahrene Kilometer: 11176km / davon Europa 610km / Südamerika 10566km - Ort: Hohenau (Paraguay)