Geschafft!!!!!

Die erste Hitzenacht in Filadelfia/Fernheim lässt sich nur mit offenen Fahrzeugtüren aushalten. Nachts zwischen 3:00 und 4:00Uhr schrecken wir aus unseren fiebrigen Träumen. Ein Mann schleicht ums Auto. Wir sind wie elektrisiert. Wo ist der Nachtwächter?? Ich rufe der Person etwas zu, doch keine Reaktion. Diese steigt dann in eines der abgestellten Fahrzeuge und fährt davon. Wir überprüfen, ob irgendetwas fehlt?; alles noch da. Vielleicht war die Person doch nur ein normaler Hotelgast oder -angestellter, der zufällig etwas nahe an unserem Fahrzeug vorbeikam. Wir fühlen uns nicht unsicher in Filadelfia, wenngleich wir bei der Stadtführung erfahren müssen, dass Kriminalität in diesem kleinen Nest in der Pampa ab und an durchaus ein Thema ist. Das krasse Wohlstandsgefälle innerhalb der Siedlung, vor allem die Indianerbehausungen sehen z.T. erbärmlich aus, sorgen immer wieder für Probleme.

Die o.g. Stadtführung ist absolut lohnenswert. Wir erfahren von den landwirtschaftlichen Grundlagen der Siedlung, vor allem von der Rinderzucht. Mit der Einführung ideal an die rauen Bedingungen des Chaco angepassten Gräsern wie dem Büffelgras begann der Aufstieg der ursprünglich bitterarmen Mennoniten-Kolonien. Heute sind die Kolonien überraschend wohlhabend und liefern Rindfleisch aus der Einöde des Chaco in alle Welt. Das größte Problem des Medio Chaco liegt dabei nicht an den fehlenden Niederschlägen, die können in guten Jahren bei über 1000mm liegen, sondern am Fehlen von "süßem" Grundwasser bzw. Bachläufen oder Flüssen. So muss jede Familie versuchen das Regenwasser in unterirdischen Zisternen aufzufangen. So schwierig das Leben hier heute noch manchmal ist, ungleich schwieriger waren die Anfänge im letzten Jahrhundert. Das sehr spannende historische Museum des Ortes erzählt unter welch teilweise abenteuerlichen Umständen, die immer wieder für ihren Glauben verfolgten Mennoniten, den Weg (meist aus Russland) nach Paraguay gefunden haben.

Wir lassen uns übel von den Moskitos, die ich hier bei der Trockenheit gar nicht erwartet hätte, verstechen. Zu spät bemerken wir, dass wir über der Hotel-Zisterne nächtigen, wo wohl Moskitos zu tausenden entstehen. Bei Temperaturen um 40°C genießen wir noch ein paarmal den Hotel-Pool, dann wollen wir weiter. Mehrfach habe ich die Temperaturen für die kommenden Tage geprüft und mich verschiedentlich über den Zustand der "Straße" in Richtung bolivianischer Grenze informiert. In einer Stadt wo der Pickup- und Geländewagenanteil bei über 90% liegt ist eine Aussage wie die Straße/Piste ist "feio" (hässlich) oder "malmal" (schlechtschlecht) kein gutes Zeichen. Bange machen gilt nicht. Wir versorgen uns noch einmal ausreichend mit Diesel, Wasser und Lebensmitteln, dann geht es über guten Asphalt nach Mariscal. Wir haben Glück, die Straßensperre einiger Indianer wird eben aufgehoben und es krachen nur noch einige Böller durch die Luft. Bereits hier, 240km vor der Grenze, erfolgt (mangels weiterer Ortschaften im einsamen Westen) die offizielle Ausreise. Anschließend wollen wir zu dem (im Reiseführer) hochgelobten Italiener. Doch dieser hat sich, nicht gerade überraschend, wohl schon länger wieder aus dem trostlosen Kaff verabschiedet. Auch uns hält hier nichts mehr, deshalb machen wir uns eher als gedacht an die raue Strecke Richtung Grenze. Wir sind noch keine 10km gefahren, da löst sich der Asphalt in Luft au. Offiziell ist die gesamte Strecke bis zur Grenze seit 2007/2008 asphaltiert, doch davon ist fast nichts mehr übrig. Die Strecke ist schlecht, besser gesagt schlechtschlecht und vor allem staubig. Es gibt kaum Verkehr, doch wenn uns Fahrzeuge begegnen, dann geht die Sicht wegen dem Staub gegen null. Wir kommen kaum noch von der Stelle und machen am ersten Tag gerade mal 58km in drei Stunden, das sind im Schnitt nicht einmal 20km/h. An der Abfahrt zu einer Estancia parken wir für die Nacht. Das Auto und die Fahrräder sind total eingestaubt. Kaum angehalten fliegt uns ein Vogel gegen das Auto. Doch das große Tier ist gar kein Vogel, sondern eine fast 15cm lange Heuschrecke, bald krabbelt auch noch eine kapitale Spinne vorbei. Moskitos müssen wir heute Nacht zwar keine fürchten, aber die Insektenwelt macht mir doch etwas Angst, vor allem die unangenehmen Wespen, die mich auch gleich noch 2x stechen. Hier scheint alles menschenfeindlich zu sein und ich muss an die ersten Siedler denken.

Die Nacht ist extrem heiß. Im stickigen Auto haben wir über 30°C, außerhalb des Autos sind es auch kaum weniger. Selten war ich so froh schon um 5:00Uhr aufstehen zu dürfen. Noch vor Sonnenaufgang quälen wir uns weiter um der größten Hitze des Tages zumindest am Anfang zu entkommen. Sage und schreibe 15km machen wir nur in der ersten Stunde. Mein Kopf arbeitet auf Hochtouren und rechnet ständig neue Ankunftszeiten an der Grenze aus. Wir wissen, dass ab der Grenze guter Asphalt warten soll, alles andere ist ungewiss. Doch bis dahin fehlen noch weit über 160km. Nach drei Stunden verbessert sich der Zustand der Straße endlich und die letzten Kilometer bis La Patria verlaufen deutlich flotter. Dort gibt es noch eine kleine Kontrolle und die Info, dass die folgenden 120km bis zur Grenze deutlich besser zu fahren wären. In dem Nest am Ende der Welt sehen wir zum ersten mal konservative Mennoniten in traditioneller Kleidung, die noch mit Pferdekutsche unterwegs sind, da sie aus religiösen Gründen auf moderne Technik verzichten. Ohne lange Pause fahren wir weiter. Die Straße ist zwar wirklich besser, aber der Nordsturm hat eingesetzt. Mit Böen von bis zu 70km/h wird heiße Luft aus dem Norden herangeblasen und trocknet uns total aus. Völlig ausgedörrt erreichen wir um die Mittagszeit die Grenze. Zum Glück ist wenig los und die Formalitäten sind halbwegs schnell erledigt. Außer uns sind noch ein paar wenige LKW-Fahrer unterwegs (seit La Patria sind uns auf 120km Strecke gerade mal drei Fahrzeuge begegnet) und zwei brasilianische Motorradfahrer. Diese kapitulieren vor der Hitze und wollen erst bei Nacht weiterfahren. Wir wollen weiter nach Ibibobo, dem ersten Ort in Bolivien. Dort bekommen wir den Einreisestempel und vielleicht auch zum ersten mal wieder kalte Getränke!! Wir wollen eben weiterrollen, da springt der bolivianische Grenzer aus seinem Häuschen. Oh nein, was kommt jetzt noch?? Mein Schuh!! Bei der allgemeinen Hektik und Fahrzeuguntersuchung ist mir ein Turnschuh aus dem Auto gefallen. Vielen Dank und schnell weiter auf der schönsten Straße, die ich je gesehen habe. Weit kommen wir nicht, schon 10km später wartet wieder ein Militärposten. Bloß nicht unfreundlich werden, auch wenn ich vor lauter Hitze schon keinen Speichel mehr habe. Eine Stunde später sind wir in Ibibobo. Wie in Mariscal müssen wir zuerst einmal den Pass-Stempler aus dem Bett holen. Bei Windstärke 6, staubiger Luft und absolut unebener Schreibunterlage versuche ich ungeschützt drei Formulare auszufüllen. Wenigstens hilft mir eine geschäftstüchtige Indianerin, die mir gleich noch Geld tauscht und eiskaltes Cola verkauft. Welch ein Segen, langsam kehrt wieder Leben in unsere Körper. Schnell die unleserlichen Formulare, die ich selbst kaum noch entziffern kann, abgeben und weiter nach Villamontes unserem Zielort düsen. Noch eine Kontrolle.. Egal, wir sehen Licht am Ende des Tunnels und abgesehen von 20km Piste läuft es gut bis Villamontes. Na gut, bis knapp vor Villamontes. Wir sind 5km vom Zentrum entfernt, da macht das Gaspedal ein eigenartiges Geräusch, dann nochmals und dann kann ich kein Gas mehr geben. Der erste Gedanke, "auh Kacke!!", der zweite Gedanke, "zum Glück ist uns das nicht 200km vorher passiert!" Wir rollen an den Straßenrand, Warnweste anziehen. Isabel will eben das Warndreieck aufstellen, da sehe ich zu meiner Erleichterung, dass wir keinen kapitalen Schaden haben. Es hat sich nur im Fußraum das Endstück des Gaszugs vom Pedal gelöst. Wie das passieren konnte ist mir schleierhaft, aber das Problem lässt sich leicht lösen. Wird der Tag doch noch ein gutes Ende nehmen?! In Villamontes wollen wir noch kurz tanken und uns dann auf dem Posto für die Nacht einrichten. Die Betonung liegt auf kurz. Mit ausländischem Kennzeichen zahlt man deutlich mehr als den doppelten Preis für Diesel als Einheimische. Dem noch nicht genug, muss vor dem Tanken auch noch Adresse und Pass-Nummer in den Computer eingegeben werden; ein ewiges Prozedere. Ich fluche innerlich und wünsche mir Herrn Seehofer mit seiner beknackten Maut für Ausländer hierher. Kurz bevor ich durchdrehe ist der Diesel im Tank und wir rollen an den Rand der Tankstelle. Diese ist wenig einladend, mit Staub der ständig durch die Windböen aufgewirbelt wird. Doch das ist mir alles so egal, es gibt kühle Getränke. Selten hat Isabel und mir das Radler besser geschmeckt als jetzt, wir hören gar nicht mehr auf mit Trinken. Und Ellie??, die ist, wie schon die ganzen letzten Tage quietschvergnügt und spielt und tanzt auf dem dreckigen Hof als ob es keinen schöneren Spielplatz gäbe.

Noch trennt uns ein langer Fahrtag vom "Glück". Wir wollen nach San Salvador de Jujuy (Argentinien), wo wir uns einen schönen Zeltplatz und angenehme Landschaften und vor allem Temperaturen erhoffen. Doch zwischen hier und dort trennen uns noch ein paar Kilometer und vor allem ein berüchtigter Grenzübertritt, vor dem wir verschiedentlich gewarnt wurden. Kurz vor Yacuiba packen wir das Navi weg, nur keine Begehrlichkeiten wecken mit moderner Elektronik im Fahrzeug. Ein Fehler, die Stadt ist so eigenartig angelegt und wir sehen kein einziges Schild, sodass wir bis zur Grenze 5x fragen müssen, bis wir diese erreichen. Und selbst dann sind wir uns noch nicht sicher, ob wir richtig liegen. Die letzten Meter erinnern mehr an eine Fußgängerzone als an einen Grenzbereich. Wir finden zum Glück etwas Platz um das Fahrzeug zu parken und dann beginnt das zweistündige Prozedere der Ausreise aus Bolivien und der Einreise nach Argentinien. Glücklicherweise sind die Beamten sehr umgänglich. Doch das grande Finale fehlt ja noch, die Autodurchsuchung durch den Zoll. Zum Glück kapituliert der Beamte vor unserer Unordnung und schickt uns dafür zum Durchleuchten. Eine halbe Stunde später ist das Fahrzeug durchgescannt und wir dürfen endlich in Argentinien einreisen. Nach einem Kilometer folgt der erste Stopp, wir (und wie es scheint nur wir) sollen eine Maut zahlen. Die fröhlichen Mädels lassen mit sich handeln und so fallen wir in die günstigste Fahrzeugklasse. Nach 10km der erste ernsthafte Stopp. Militärpolizei stoppt uns und untersucht uns auf Drogen. Der böse (Drogen-)Nachbar Bolivien wird als Grund der Untersuchung genannt. Dem mag so sein. Ich werde aber bei den Jungs den Verdacht nicht los, dass hier auch nach Geld gesucht wird. Doch unser Joker Ellie sticht. "Hola und tudo bem!" Die zuvor noch so grimmigen Gesellen sind angetan von unserer Prinzessin und ihren Spanisch- und Brasilianisch-Kenntnissen. Man lässt uns ungeschoren weiterfahren. Ich habe noch nicht die Unterlagen wieder weggepackt, da werden wir schon wieder gestoppt. Noch einmal schauen die Beamten ins Auto, dann sind wir erlöst. Es folgen noch zwei kurze Stopps durch die Polizei, dann dürfen wir für den Rest des Tages weiterfahren.

Der Nordsturm wurde längst durch strengen Südwind und Regenwolken abgelöst. Während der Nordwind für heiße Temperaturen im Chaco sorgt, kann ein Drehen des Windes in Westparaguay zu Temperaturstürzen von bis zu 20°C innerhalb weniger Stunden sorgen. Dieser Effekt scheint jetzt einzutreten. Von den heftigen 40-45°C, die wir gestern noch hatten, fahren wir jetzt in nasskalte 10°C bei San Salvador de Jujuy am Fuße der Anden. Welch krasser Gegensatz! Dabei haben wir noch Glück. Wie wir später erfahren sollen, wurde das nahe Salta von einem heftigen Hagelsturm getroffen, der große Schäden angerichtet hat. Doch der Regen in San Salvador lässt uns erstmal kalt, wir sind froh, dass wir dem Backofen Chaco gesund entkommen sind und freuen uns auf die kommenden Tage in der tollen Bergwelt Nordwestargentiniens.

Datum: 11.10.2014(Tag 150) - Tachometerstand: 244 043km - gefahrene Kilometer: 13003km / davon Europa 610km / Südamerika 12393km - Ort: Yala (Argentinien)