Bitte ein Erdinger

Moskau und St.Petersburg trennen etwa 700km. So viel wollen wir an einem Tag nicht fahren, also bietet sich Veliky Nowgorod mit seinem auf der UNESCO-Welterbeliste stehenden Kreml als Zwischenstation an. Über die neue Superautobahn kommen wir der schönen Stadt schnell näher. Nach einem Verfahrer müssen wir aber noch einmal mühselig durchs Hinterland gurken. Es zeigt sich auf der Reise zum wiederholten male, dass das Geld im Land höchst ungleich verteilt ist. Neue Autobahnen stehen im harten Kontrast zu vielen Provinzsträßchen, Luxus in Moskau und St.Petersburg prallt auf bescheidenen "Wohlstand" auf dem Land.

Der Kreml und die Innenstadt von Nowgorod sind schön, aber können nicht ansatzweise mithalten mit dem was wir am Folgetag sehen. Die wunderbare Lage am Wasser und die unzähligen historischen Prachtbauten machen das Zentrum von St.Petersburg zu einer der schönsten Altstädte weltweit. Unglaublich wenn man die Geschichte der Stadt bedenkt. Allein etwa eine Million Einwohner sollen während der fast 900Tage dauernden Belagerung durch die deutsche Wehrmacht im 2. Weltkrieg an Hunger und Krankheit gestorben sein. Doch das ist Geschichte, heute lebt die Metropole und der sensationelle Gesamteindruck wird verstärkt durch das super Wetter und etlichen Fußballfans, die der Stadt zusätzliches Leben einhauchen. Wir versuchen noch einmal am Stadion zu Karten zu kommen für das Spiel um den 3.Platz, doch die wenigen verfügbaren Karten gehen auf dem Schwarzmarkt für horrende Preise ohne uns weg.

Um das Stadion ist einiges an Sicherheitspersonal aufgestellt, ein einzelner Demonstrant (der auf seinem Plakat für mehr Menschenrechte im Land klagt) wird von der Polizei festgesetzt, beim Finale am Sonntag werden die Flitzereinlagen von Pussy Riot umgehend vom russischen Fernsehen ausgeblendet. Alles Dinge, die für einen leicht schalen Beigeschmack der WM sorgen und einen sicher sein lassen, dass die Veranstaltung von oben herab mehr als gut kontrolliert wurde. Dinge, die einem bei einer "West-WM" aber leider vermutlich genau so gut begegnen könnten. An der FIFA-WM als Ganzes gäbe es einiges zu kritisieren, bei der Organisation vor Ort war ich aber doch immer wieder sehr psoitiv von den russischen Gastgebern überrascht. Auch die meisten Einheimischen haben die Veranstaltung voll angenommen und ihr Interesse auch nach dem russischen Ausscheiden nicht verloren. So waren während des Finales alle Lokale und Fernseher voll belegt und kaum noch Menschen auf den Straßen zu sehen.

Einer war beim Finale nicht mehr dabei, Scotty musste sich leider von der Mannschaft Richtung Heimat verabschieden. Ohne ihn geht es für uns mit dem Tragflügelboot zum Peterhof. Eine sensationelle Anlage, die als das russische Pendant zu Versailles gilt. Nachdem wir auch im teuren Moskau und in St.Petersburg immer wieder für kleines Geld essen konnten werden wir ohne unser Teamrückgrat Scotty im Peterhof etwas übermütig. Warum nicht mal ein Eis bei dem schönen Wetter schlotzen, warum nicht gleich ein Boppeleis. Isst zwar außer uns niemand, aber wenn die hübsche Dame so nett fragt. Was, Schokosoße bietet sie uns auch noch an. Na prima, nur her damit. Wer könnte Ihr das abschlagen. Am Ende sind wir für das mickrige Eis pro Nase 6,-€ los. Das war übelster Peterhofnepp. Zum Vergleich, am Vorabend war ich noch für 4,-€ im Herzen der Stadt essen und trinken.

Der Eis-Fauxpas kann unsere Stimmung nicht trüben. Wir lernen einige nette Leute kennen. Trinken kurz vor Ende unseres Petersburg-Aufenthalts tatsächlich unseren ersten Wodka (die Zeiten wilder Alkoholgelage scheinen unter Putin der Vergangenheit anzugehören) und genießen die sogenannten weißen Nächte. Dann geht es parallel zu Herrn Putin Richtung Helsinki. Wir sehen zwar nicht die Antonov, den russischen Staatsflieger, aber gerade als wir das Zentrum von St.Petersburg verlassen donnert der Himmel. Dutzende russische Kampfflugzeuge und -hubschrauber bewegen sich im Tiefflug über die Stadt, ein beeindruckendes Schauspiel. Wir vermuten, dass die Einheiten als Absicherung für den russischen Präsidenten dienen, der sich genau zu dieser Zeit nahe an der Stadt vorbeibewegt gen Finnland.

Nach dieser letzten Machtdemonstration nehmen wir Abschied vom russischen Riesenreich und rollen über piekfeine Straßen zur Grenze. Dort ist zum Glück wenig los, ganz schmerzfrei kommen wir aber doch nicht durch. Den Grenzern kommt unser Dachzelt verdächtig vor. Ich weiß nicht, was sie suchen, aber es bleibt uns nichts anderes übrig als das Zelt vor Ort aufzubauen. Natürlich finden die Kollegen nichts, also geht es kurz danach rein ins Niemandsland. Dort wartet schönerweise ein gut sortierter DutyFree-Shop, der als Belohnung für müde Reisende, sogar ein Erdinger Weißbier im Angebot hat. Der Tag ist gerettet. Wir zelten wild irgendwo an der Ostsee und hunderten Moslitos und Bremsen zum Trotz wird es ein grandioser Abend.

Datum: 16.07.2018 (Tag 23) - Tachometerstand: 320525 km - gefahrene Kilometer: 4548 km / davon Russland 2095 km - Ort: Kotha (Finnland)