Wie ist denn die WM in Katar jetzt eigentlich so?

Wir übernachten noch einmal in Abu Dhabi und genießen die große Moschee im Abendlicht, ein grandioses Erlebnis. Dann geht es früh am nächsten Morgen via Saudi Arabien nach Katar. An der saudischen Grenze klemmt es noch einmal etwas, ein voller Pilgerbus bringt die Grenzbeamten ins Schwitzen, dann werden wir für unsere Geduld belohnt und dürfen wieder für 15Cent den Liter Diesel tanken. 90min nach der Emirate - Saudi Grenze erreichen wir den Saudi - Katar Grenzübergang. Bis vor kurzer Zeit war dieser Übergang grundsätzlich geschlossen und eine Reise unserer Art wäre überhaupt nicht möglich gewesen. Aber nicht nur deshalb sind wir etwas nervös, sondern weil wir auch immer noch nicht genau wissen, was wir mit unserem Fahrzeug machen sollen/müssen. Die unverschämte Einreisegebühr von ca. 1300,-€ (die vermutlich verhindern soll, dass das kleine Katar von saudischen Automassen überrollt wird), ist einfach nur frech, allein schon aus dem Gesichtspunkt, weil die Fahrzeuggebühr erst kurz vor Beginn der WM bekannt gegeben wurde. Wir wollen den Betrag nicht zahlen, haben aber nur bedingt einen Plan B, weil auch im Internet nur rudimentär Infos zu finden sind und alle offiziellen Stellen (Katarische Botschaft in D, deutsche Botschaft in Katar, Fanclub Nationalmannschaft, FIFA, Haya-Team usw.) nicht oder nur mit absolut bescheidenen Infos zu möglichen Alternativen rüberkommen.

Tatsächlich ist dann am saudischen Grenzort alles tipptopp organisiert. Nach langer Fahrt durch einsame Wüste ist man einfach nur überrascht, einen Riesenparkplatz, hunderte von Autos und Fußballfans vorzufinden, dazu Polizisten und Ordner, die die Menschenmassen in dutzende Busse delegieren, die Richtung Grenze bzw. Doha fahren. Also den Roten Blitz dort abparken und dann von den zahlreichen Helferlein einweisen lassen => Bus - Einreise / Bus - Ausreise / Bus - Doha / Empfang - SIM Karte - Taxi... Alles ist piekfein organisiert. Unsere Grundhaltung ist weiterhin skeptisch, der erste Eindruck und der oberfreundliche Service charmieren uns aber sehr.

Eine Woche später sind wir um eine gewaltige Erfahrung reicher. Wir nehmen etliche Spiele mit (Chris und Andi sogar deren fünf an der Zahl), darunter den Sensationssieg der Marokkaner gegen Spanien und den Viertelfinalkrimi Argentinien gegen Holland. Wie im Vorfeld der WM reichlich geschehen gäbe es einiges zu beargwöhnen. Wie so viele andere Europäer sind wir nicht glücklich über die geschobene Vergabe, Spielort und -termin der WM, über Verletzung von Menschenrechten und unzählige Kritikpunkte mehr. Doch diese Themen wollen wir nicht noch einmal aufwärmen, das wurde zu Genüge in deutschen Medien diskutiert. Interessanter ist sicherlich die unbekannte, positive Seite der WM, die wir in vollen Zügen genießen. Die Organisation von Transport, Betreuung und Angebot an die Fans ist vom Feinsten. Wir fühlen uns rundum wohl, auch deshalb weil uns die zahlreichen Helfer zu allen Tag- und Nachtzeiten auf das allerfreundlichste begegnen. Der Running Gag und gefühlt tausend mal gehört und zitiert ist dabei das allgegenwärtige "Metro, this way!".

Die WM ist mehr Event als Sportplatz, mehr Familienausflug als Fankurve, mehr Hoffenheim als Waldhof, aber auch dem kann man etwas positives abgewinnen, wenn eben keine fliegende Bierbecher, Bengalos oder randalierende Fans drohen. Die meisten Europäer haben sich wie schon 2018 gegen einen Besuch der WM entschieden, was an der geringen Zahl der Fans leicht zu erkennen ist. Die Südamerikaner und die Fans aus den arabischen Ländern schließen dieses Vakuum aber nahezu. Wir sind überrascht über die große Zahl der angereisten Fußballfans, auch wenn diese wohl nicht ganz die Erwartungen der Organisatoren erreicht hat (Soll: 1,2Mio / Ist bis Viertelfinale: ca. 750.000Gäste). Die größte Überraschung für uns sind dabei die zahlreichen asiatischen Fußballfans aus Ländern ohne teilnehmende Mannschaft. So bevölkern tausende Inder die Stadien. Auch hier könnten man sich wieder leicht über die WM als billige Plastikveranstaltung echauffieren, die nur Eventfans ohne Fußball-Sachverstand ins Stadion zieht oder man könnte sich darüber freuen wie die magische Sportart Fußball Menschen auf der ganzen Welt in ihren Bann zieht. Tatsächlich kann ich am eigenen Leib bestätigen, dass manch indischer Fan das Ultra-Gen in sich trägt. Im dramatischen Halbfinale Argentinien - Holland habe ich ab der zweiten Halbzeit meinen indischen Sitznachbarn und Messi-Fan bei jeder dramatischen Szene (und das sind nicht wenige in diesem Spiel) am Hals hängen. Nach dem erfolgreichen Elferschießen hebt er mich dann für Sekunden vor Freuden in die Luft, was bei seiner zierlichen Statur eine wahrhaft weltmeisterliche Leistung ist. Ich bin wirklich gerührt von seiner Fußball-Leidenschaft.

Wir werden uns sicherlich nicht dem Unsympathen und Oberlumpen Infantino anschließen und von der besten WM aller Zeiten sprechen, doch für uns geht eine absolut spannende Woche mit zahlreichen netten Begegnungen zu Ende, deren Erfahrungen wir nicht missen möchten. Wir schließen uns dem Reporter Uli Köhler an, der uns für Sky News zu unserer Katar-Autoreise interviewt hat. Die Organisation der WM war für das arabische Selbstverständnis und Selbstwertgefühl in der Welt wichtig. Die oft eindimensionale Sichtweise, Berichterstattung und zuweilen arrogante Besserwisserei der Europäer war/ist oft berechtigt, aber wird der Sache nicht immer ganz gerecht. Tatsächlich ist unser größter Kritikpunkt vor Ort (zu Menschenrechtsverletzungen können wir mangels Erfahrung nichts sagen) die inflationär eingesetzten Klimaanlagen, die überall für die schniefenden Nasen sorgen. Unrühmlicher Höhepunkt, das auf Kühlschranktemperatur gekühlte Education-Stadion beim Spiel Marokko - Spanien. Vereinzelte Education-Profis kamen bereits mit Daunenjacke (kein Witz bei Temperaturen außerhalb des Stadions von 25°C), die Anfänger (uns eingeschlossen) dagegen mit Shirt und kurzer Hose. Einen Fan haben wir dabei beobachtet, wie er in seiner Not in der Halbzeitpause für teures Geld im Fanshop einen Pulli gekauft hat um den drohenden Erfrierungstod zu entkommen.

Für Luchs und Chris war der Klimatest eine ungewollt gute Vorbereitung. Für sie geht es ab Doha mit dem Flieger zurück nach Hause ins kalte Deutschland. Andi und ich dagegen machen uns auf die Rückreise nach Saudi Arabien. Der nächste Stopp lautet Al Hofuf, gelegen in der größten Palmenoase der Welt.

Datum: 11.12.2022 (Tag 55) - Tachometerstand: 174.268 km - gefahrene Kilometer: 10.223 km (davon Asien: 7.261 km) - Ort: Al Hofuf (Saudi Arabien)