UNESCO-Welterbe mit Überraschungseffekt

Chile Chico ist der ideale Standort um etwas durchzuschnaufen und die Vorräte aufzufrischen. Da sehen wir es gerne nach, dass auch hier, wie fast überall in Camping-Südamerika, kaum eine Toilette funktioniert. Zum Glück ist unser Stellplatz gut windgeschützt, denn der patagonische Wind zeigt uns von Tag zu Tag mehr, was in ihm steckt. Als wir am Folgetag Richtung Grenze/Los Antiquos (Argentinien) rollen müssen wir bei dem Rückenwind praktisch kein Gas geben. Nahe der Grenze sehen wir zwei Tandemradler, die das gleiche Fahrradmodell wie unsere Freunde aus Italien haben. Seit wir Antonio und seine Freundin in San Ignacio (Argentinien) getroffen haben, stehen wir in Kontakt und haben ein Wiedersehen im Süden Patagoniens anvisiert. Ich nehme mir fest vor, die Beiden bald wieder zu kontaktieren und ihnen zu erzählen, dass es auch noch andere Tandemradler gibt. Ein paar Tage später, als beide Seiten wieder Internet haben, stellt sich heraus, dass wir blöderweise direkt an ihnen vorbeigefahren sind. In der Annahme, dass wir noch weit voneinander entfernt sind, hat keine der beiden Partien genau hingeschaut, geschweige denn angehalten; wie ärgerlich.

Der Grenzübergang nach Argentinien ist easy und der Wind presst uns schnell Richtung Perito Moreno. Am Ortsausgang steht ein hagerer, junger Mann und wird vom Wind fast fortgerissen. Der Wind hat hier Sturmstärke und ich muss Isabel nicht nur einmal zu Hilfe kommen, die großen Türen je nach Windrichtung zu schließen oder zu öffnen. Die großen Fahrertüren des Sprinters sind gemeine Windfänger und kaum zu halten, wenn man sie unbedacht öffnet. Fabian aus Kolumbien ist sichtbar froh dem Wind zu entkommen und will mit uns mitfahren, obwohl unser Ziel eigentlich mit seiner Route nicht so übereinpasst. Wir sind auf dem Weg zum UNESCO-Weltkulturerbe Cueva de los Manos mit seinen berühmten Wandmalereien. Die Malereien sind laut Aussage anderer Reisenden wohl nicht mehr ganz original, aber ein Welterbe lässt man ja nicht einfach links liegen. Wir kommen passend zu einer Führung an der auch eine deutsche Reisegruppe teilnimmt. Wir sind kaum eine Viertelstunde unterwegs, da hören wir erschreckte Rufe von der deutschen Gruppe, die sich etwas zurückfallen hat lassen. Genau vor einer Felswand mit Malereien ist ein handballgroßer Stein direkt neben einem Tourist eingeschlagen. Welch Glück für ihn, das hätte auch ganz anders ausgehen können. Unsere Führerin eilt zurück, lässt sich das Geschehen erklären und bricht dann die Führung umgehend ab. Das Risiko vor weiteren Steinschlägen bei dem starken Wind sei zu groß. Nun gut, ich kann ihre Reaktion verstehen. Etwas peinlich finde ich aber die Tatsache, dass sie dann geradewegs zum Eingang zurückeilt und die ganze Gruppe (ca. 30-40 Personen) mehr oder wenig sich selbst überlässt. Geld bekommen wir keines zurück, am Visitor-Center dürfen wir auch nicht übernachten, sonden müssen uns irgendwo in der kargen Einöde an den Berghang drücken und Fabian dürfen wir auch noch versorgen. Der hat nur halbherzig versucht einen Weitertransport zu organisieren und natürlich keinen bekommen. Jetzt schlägt er sein bescheidenes Zelt in unserem Windschatten auf und wird von Isabel bekocht.

Am Folgetag geht es nach Gobernador Gregores, seit Perito Moreno und das liegt schon über 300km hinter uns, die erste richtige Siedlung in dieser einsamen Gegend. Hier trennen sich die Wege von uns und unserem netten Mitfahrer Fabian. Wir checken den kleinen Ort, bewundern den gut sortierten Supermarkt und sind befremdet über die supersteilen Spielplatzwippen, bei denen es prompt am Abend zu einem kleinen Unfall mit Notarztwagen-Einsatz kommt. Dann haben wir genug gesehen und fahren weiter tags darauf nach El Chalten dem Kletter- und Trekkingeldorado Argentiniens. Was für ein majestätischer Anblick, schon vom weiten können wir die Gipfel von Fitz Roy und welch seltenes Glück auch den Cerro Torres wolkenfrei sehen. Auch die Folgetage haben wir halbwegs Wetterglück und können fast regenfrei verschiedene Wandertouren mit grandiosen Ausblicken machen. Als besondere Belohnung sehen wir auch zweimal Kondore in unmittelbarer Nähe und bei der letzen Tour läuft uns schönerweise auch noch Fabian in die Arme, der eine Mehrtageswandertour macht.

Man soll gehen, wenn es am Schönsten ist und so haben wir bei unserer Weiterfahrt noch einmal freie Sicht auf das Fitz Roy Massiv. Das nächste Ziel heißt El Calafate, dort wartet der nächste Knaller, der Gletscher Perito Moreno (ebenfalls UNESCO- Welterbe). Auf dem Weg dorthin überfahre ich fast ein Gürteltier. Der Schreck sitzt so tief, dass ich ganz vergesse anzuhalten. Angehalten bzw. ausgebremst werden wir dann vom Verkehr in Calafate. Der kleine Ort ist in den letzten Jahren gewaltig angewachsen und zu allem Überfluss ist gerade auch noch ein großes Festival, sodass es auf dem Zeltplatz zugeht wie im Taubenschlag. So sind wir froh am nächsten Tag Richtung Wildnis, Richtung Gletscher zu fahren. So einsam wie in früheren Tagen ist diese Tour aber auch nicht mehr. Die Gletscherzunge des südpatagonischen Eisfelds zieht Besucher aus der ganzen Welt an. Zum Glück verteilen sich die Leute ganz gut auf den vielen Besucherbalkonen. Wir genießen die Zeit und staunen über die vielen und lautstarken Eisabbrüche (der Gletscher ist ständig in Aktion und soll sich laut Infotafeln in der Mitte der 5km breiten Zunge bis zu 2m pro Tag bewegen). Zurück von der Natur in die moderne Welt. Meine Schwester hat Geburtstag, was machen in Handynetzfreien Natur? Schnell mal ganz weltmännisch das Satelliten-Telefon ausgepackt und dann wird quer um den Globus herum gratuliert. Nachdem auch diese angenehme Aufgabe erledigt ist, fahren wir zurück Richtung El Calafate. Auf den Stress im übervollen Ort haben wir keinen Bock, einen Nachtplatz in der Wildnis zu finden ist aber überraschenderweise auch nicht einfach. Im Nationalpark ist es strikt verboten zu übernachten und außerhalb des Parkes wartet direkt neben der Straße gleich der Weidezaun, an dem wir wie zur Mahnung immer wieder Guanako-Kadaver sehen. Diese sportlichen Lamas überspringen oft elegant die Drahtzäune. Alte oder unaufmerksame Tiere bleiben aber verschiedentlich auch dort hängen und verenden jämmerlich im Zaun. So soll es uns nicht gehen. Also nutzen wir die erste Stelle, wo der Zaun etwas zurückgesetzt ist und ein Baum Schutz vor der Straße bietet. Da hier nachts sowieso niemand mehr vorbeikommt, klingt der erlebnisreiche Tag angenehm ruhig aus.

Datum: 17.02.2015(Tag 279) - Tachometerstand: 255307 km - gefahrene Kilometer: 24267 km / davon Europa 610 km / Südamerika 23657 km - Ort: El Calafate (Argentinien)