So ein Tag so wunderschön wie heute..

Der blaue Schlumpf schnurrt auch nach knapp vier Wochen auf See wie ein zahmes Kätzchen, wilder ist da schon der Innenstadtverkehr in Montevideo. Der Hafen liegt blöderweise genau im Herzen der Stadt, da gestalten sich die ersten Kilometer zur besten Hauptverkehrszeit bei einsetzendem Regen doch etwas unangenehm. Ich bin kaum 3min in Südamerika gefahren, da schrammt mir schon der erste überhektische Radler in die Fahrerseite. Eine knappe Stunde später habe ich dann endlich die letzten Außenbezirke der Stadt hinter mir gelassen und halte Richtung Punta del Este. Nahe Jaureguiberry beziehe ich einen kleinen Bungalow um mich für die Weiterfahrt nach Brasilien zu organisieren. Nach dem großen Regen ist es erstaunlich mild mit knapp 25°C, doch ein empfindlicher Temperatursturz auf kaum mehr als 10°C ist angekündigt. Pünktlich zur ersten Partie der WM setzt ein heftiges Gewitter ein und die entfesselte Natur scheint auch nicht einverstanden mit dem umstrittenen Elfmeterpfiff für Brasilien. Bevor Neymar anlaufen kann fällt das Bild aus und taucht auch erst wieder auf als Oscar bereits zum 3:1 gegen Kroatien eingelocht hat. Während draußen die Temperaturen fallen, steigt bei mir das WM-Fieber. Am kommenden Tag fahre ich bis zur Grenze bei Barra del Chuy, von Brasilien trennt mich nur noch ein schmaler Fluss. Alleine auf dem großen Zeltplatz sehe ich das spanische Debakel gegen Holland, dann geht es bei Zeit in der Nacht ins Auto, am folgenden Tag will ich in aller Frühe die Grenze queren. Die Ausreise aus Uruguay bzw. die Einreise nach Brasilien verläuft völlig unproblematisch und ist ohne jegliche Fahrzeugkontrolle in kürzester Zeit erledigt. So verlasse ich die etwas kuriose Grenzstadt Chuy/Chui (die Grenze zwischen Uruguay und Brasilien verläuft als breite Straße mitten durch den Ort) noch im Laufe des Morgens. Jetzt heißt es Kilometer machen.

Am Abend erreiche ich bei trübem Wetter Porto Allegre (die Millionenstadt ist auch Spielort der WM), quäle mich durch den Großstadtverkehr und suche bei einsetzender Dunkelheit einen Posto auf. Die "Autobahnraststätten" sind für für die Übernachtung der Fernfahrer gut eingerichtet. In der Lanchonette schaue ich Italien-England 2:1 und ahne noch nicht, das Spiel der Gruppenschwächsten zu sehen. Schnell eine Mütze Schlaf nehmen und dann geht es im ersten Morgengrauen wieder auf die Straße. Ich fühle mich wie King of the Road, der sich Sonntagfrüh um 6:00Uhr die Straße nur mit ein paar nimmermüden Brummifahrern teilen muss. Noch ein paar Stunden, dann habe ich nach hunderten von Kilometern mein erstes Etappenziel Barra Velha, den Wohnort meines Cousins Andreas erreicht. Doch ich werde fies ausgebremst, ein LKW hat sich auf die Seite gelegt. Leider kein seltenes Bild in Brasilien, doch dieses mal ist der aus der Gegenrichtung kommende Autolaster im Grünstreifen der Autobahnmitte gelandet und hat die geladenen Fahrzeuge auf unseren Fahrstreifen abgelegt, Totalsperrung!! Eigentlich ein Grund eine kleine Krise zu bekommen, doch es ist WM und die Leute in Feierlaune. Immer wieder werde ich auf das Fahrzeug mit dem deutschen Kennzeichen angesprochen und nach der WM befragt. Mit den Fans im Fahrzeug hinter mir feiere ich die deutsch-uruguayanische Fanfreundschaft und mitten auf der Autobahn packen wir Fahnen aus für die weiß-blaue-schwarz-rot-goldenen Erinnerungsfotos. Der Verkehr rollt wieder und am frühen Mittag rolle ich in Barra Velha ein. Fröhlich werde ich von der fünfköpfigen Familie meines Cousins begrüsst, die ich abgesehen von meinem Vetter noch nie in meinem Leben persönlich getroffen habe. Zur Feier gibt Churrasco Brasileiro (leckerstes Grillfleisch) und abends schauen wir Argentinien-Bosnien/Herzegowina 2:1, schnell wird klar, dass keine Nation in Brasilien so unbeliebt ist wie Argentinien.

Nach dem Wohlfühltag in Barra Velha geht es am kommenden Tag von der Küste zur Hochebene auf der Curitiba (ebenfalls WM-Spielort) liegt und dann noch einmal weiter hoch auf knapp 1200m zur Colonia Witmarsum, wo meine Verwandtschaft lebt. Kurz vor 13:00Uhr bin ich nach ca. 1500km harter Fahrerei von Montevideo vorerst und fast pünktlich am Ziel. Zur Begrüßung gibt es ein schnelles Mittagessen und dann sitze ich schon wieder im Auto. Viele der deutschstämmigen Mennoniten pflegen auch weit über 100 Jahre nach ihrer Auswanderung aus Deutschland noch immer die Sprache und das Brauchtum ihrer Vorfahren. So düse ich ins örtliche Cafe und sitze kurz nach Spielbeginn zwischen ca. 50 meist brasilianisch sprechenden Deutschlandfans und feiere mit ihnen das 4:0 der deutschen Nationalelf gegen Portugal. Passend zu diesem etwas ungewöhnlichen Ereignis hat sich auch das brasilianische Fernsehen angekündigt und so wird die ganze Veranstaltung von den neugierigen Kameras beobachtet und wie ich später erfahre, weltweit ausgestrahlt (siehe - globo.tv). Die treuen Fans lassen sich dann auch nicht lumpen. Dank dem erfreulichen Spielverlauf geben sich alle sehr sangesfreudig und mit herrlich schrägen Tönen versetzt singen wir gemeinsam, "So ein Tag, so wunderschön wie heute", "Oiner geht no, oiner..", "Marmorstein" und etliche weitere Bierzelt- und Fußballklassiker. Zur völligen Abrundung des bizarren Deutschlandbildes gibt es dann zur Halbzeitpause auch noch fröhliche Live-Musik mit der Quetsche, welch ein herrlicher Mittag.

Die restlichen Tage vergehen wie im Flug. Tagsüber helfe ich meiner Verwandtschaft in Haus und Hof, mittags und abends schaue ich eine WM-Partie nach der anderen. Da stört es nicht groß, dass der Kontakt zur Außenwelt etwas eingeschränkt ist. Vor ein paar Wochen wurden ca. 3km Telefonkabel direkt vom Mast geklaut. Als nach etlichen Tagen der Anschluss wiederhergestellt wurde, schlug kaum fünf Tage später der Blitz so mächtig in die Leitung, dass seit fast zwei Wochen wieder kein Telefon und damit auch das Internet nicht funktioniert. Etliche Fußballspiele später, darunter das mühselige 2:2 der Deutschen gegen Ghana kündigt sich dann die Nachhut an. Ellie und Isabel landen eine knappe Wochen nach mir wohlbehalten in Curitiba. Das Reiseteam ist jetzt komplett und gleich wartet mit dem Besuch des Naturparks von Vila Velha ein kleiner Höhepunkt auf die Damen.

Datum: 23.06.2014(Tag 40) - Tachometerstand: 233 532km - gefahrene Kilometer: 2492km / davon Europa 610km / Südamerika 1882km - Ort: Colonia Witmarsum (Brasilien)