Man spricht deutsch

Während wir uns in Toque Toque Pequeno die Sonne auf den Bauch scheinen lassen, erfahren wir, daß auch andere Weltreisende mit der Hufe scharren. Juwi und Hugo planen eine Rallye-Tour durch Rumänien mit Juwis neuem Reisemobil. Aus diesem Grund haben wir auf der linken Tagebuchseite einen neuen Menüpunkt "Rumänien" angefügt und in den kommenden Tagen wird das Tagebuch dann gleich doppelt bedient durch Berichte aus Europa und Südamerika. Doch zurück an den Strand. Nach den Wohlfühltagen an der Costa Verde ist jetzt der Blaue Schlumpf gefordert. Wir lassen die Reifen glühen und donnern an einem Tag von Toque Toque nach Curitiba. Erschöpft wollen wir am Abend auf den Camping einbiegen, doch es gibt alles nur keinen Zeltplatz. Wir checken unseren Anfahrtsplan, fragen Passanten, doch außer der bedrohlich dunklen Nacht taucht nichts auf. Also setzen wir mal wieder auf unseren Superjoker "Posto". Wir parken neben den LKWs, während Lesly und Pedro schönerweise auf der Autobahnraststätte sogar in einem eigenem Zimmer absteigen können.

Am nächsten Morgen geht es im hektischen Berufsverkehr rein ins Herz von Curitiba. Während ich anschließend das Auto ins Tal fahren darf, genießen die Anderen die berühmte Zugfahrt von Curitiba nach Morretes. Die Bahnlinie führt spektakulär von der ca. 900m über Meereshöhe liegenden Hochebene runter ans Meer nach Paranagua. Auch die Autobahn führt durch den landschaftlich sehr reizvollen Bergregenwald, der Teil des Mata Atlantica ist und somit zum Weltnaturerbe der UNESCO gehört. Bemerkenswert sind neben dem Welterbewald auch die lokalen Radfahrer, die sich aus Trainingsgründen auf der Autobahn vom Tal auf die Hochebene quälen. Bemerkenswert vor allem deshalb, weil es auf der Aufstiegsstraße gar keinen Standstreifen gibt. Die Radler dürfen sich also die Spuren mit den genervten 40-Tonnern teilen. Wer weiß wie erbarmungslos die Trucker in Brasilien unterwegs sind (wir haben aufgehört die zahlreichen Unfallstellen zu zählen), der kann sich nur über die Kamikaze-Radfahrer wundern.

Von Morretes fahren wir via Guaratuba nach Canto Grande nahe Porto Belo. Erst in der Dunkelheit erreichen wir unseren Nachtplatz.Schnell das Zelt aufbauen, dann geht es auch schon los. Eine mächtige Kaltfront hat sich angekündigt. Zum Glück hält sich das Gewitter in Grenzen, doch es fällt ordentlich Regen und vor allem windet es gewaltig. Zudem fallen die Temperaturen um mehr als 10°C. Abgesehen von kleineren Ausnahmen konnten wir uns die letzten Wochen ständig auf die Schultern klopfen für die Entscheidung Brasilien im Südhalbkugel-Winter zu besuchen, da die Temperaturen meist angenehm zwischen 20° und 28°C lagen. Docht jetzt geht das Thermometer in den Keller. Auf der Hochebene droht Frost, wir liegen am Meer ein paar Grad darüber, doch mit dem starken Wind ist es auch bei uns sehr frisch. Fast wie zur Bestätigung liegt am kommenden Tag ein toter Pinguin am Strand!!! Ich weiß nicht, ob es normal ist, daß Pinguine soweit nach Norden schwimmen (immerhin befinden wir uns nicht weit entfernt vom südlichen Wendekreis), aber zum aktuellen Wetter passt der Besucher aus dem Süden.

Canto Grande mit seinen schönen Stränden ist dann auch schnell wieder Geschichte. Wir liefern uns heiße Tischtennis- und Billiardmatches auf dem Zeltplatz um der Kälte zu trotzen und erwandern die schöne Halbinsel. Zum Abschluß der Strandtour (die gemeinsamen Reisetage mit Lesly & Pedro sind leider gezählt), wollen wir noch einmal lecker Fisch essen. Beim Blick auf die Speisekarte bekommen wir dann aber fast eine Fischvergiftung. Geldbeutel was machen? Wir wollen uns nicht die Blöße geben und das Lokal einfach wieder verlassen, also bestellen wir wenig und nur die besonders günstigen Angebote. Dann wird serviert und der Kellner schiebt als erste Aktion erst einmal den Nachbartisch heran um die verschiedenen Platten zu platzieren, die Tischplatte biegt sich dabei fast bei den Massen. Ein Hoch auf die Speisekarten in Osteuropa bei denen immer eine Gewichtsangabe mit angegeben ist. Wir hätten die Hälfte bestellen sollen und wären immer noch satt geworden. Jetzt relativieren sich die Preise. Das Lokal ist ein echtes Schnäppchen.

Vom Meer geht es nach Blumenau. Die Stadt mit dem deutschen Namen ist vor allem für sein Oktoberfest (eines der größten Straßenfeste in Brasilien) bekannt. Doch wir sind im falschen Monat hier. Kein Oktoberfest ist in Sicht und die Stadt selbst ist eine wilde und oft kitschige Mischung aus Fachwerk- und Neubauten. Neben dem Auge schmerzt mein Fuß vom vielen kuppeln. Der Verkehr ist ein unangenehmes Stop-and-Go, da die Stadtplanung mit dem schnellen Wachstum der Stadt (Blumenau hat mittlerweile 300 000Einwohner) nicht mehr mithalten kann sind die Straßen übervoll. Vielleicht kommen meine Schmerzen auch von den Wanderungen in Canto Grande, aber wie dem auch sei, wir sind etwas enttäuscht von der brasilianischen Stadt mit den deutschen Wurzeln. Nicht enttäuscht werden wir vom Kaffeehaus Gloria. Leckerer Kaffee und ein Kuchenbuffet vom Feinsten erwarten uns. Allerfeinste Backwaren zum kleinen Preis. Allerdings passen wir mit unseren Zweitliga-Reiseoutfits und den verschwitzten Achseln nach Meinung vieler vornehmer Gäste nicht unbedingt in diesen Laden. Wir müssen uns manch argwöhnischen Blick der einheimischen Stadtladies gefallen lassen.

Blumenau und seine hochnäsigen Ladies kann uns gerne haben, wir flitzen in der Dämmerung ins nahe Pomerode. Hier hat sich wirklich viel deutscher Einfluß erhalten. Es gibt viele Fachwerkgebäude und fast überall wird deutsch (bzw. plattdeutsch) gesprochen. Hier fühlen wir uns wohl, hier wollen wir bleiben. Kein Campingplatz ist im Ort, also ab in das Hotel Bergblick mit seinen, laut Reiseführer, "gigantic rooms". Das Hotel ist schnell gefunden, doch es wirkt etwas menschenleer. Die Rezeption ist zum Glück besetzt, also schnell rein, einchecken und ab in die gigantic rooms. Dann die kalte Dusche, laut dem Herrn an der Theke, ist das Hotel absolut voll. Und nicht nur dieses Hotel soll voll sein, sondern auch alle Hotels der Umgebung, da in Blumenau aktuell eine wichtige Messe stattfinden würde. Na Weltklasse, wir, total abgeschlagen vom langen Tag, hängen irgendwo in der Pampa und der nächste Schlafplatz ist dutzende Kilometer auf kleinen kurvigen Bergsträßchen entfernt. Zudem ist dunkelste Nacht, der nächste Starkregen kündigt sich an und ein Licht unseres Mobils ist ausgefallen. Zu dritt können wir in unserem Fahrzeug überall schlafen, doch heute Nacht sitzen wir zu fünft in der Kiste...

"Nicht babbeln, handeln!" hat mir früher schon einmal ein Kunde mit auf den Weg gegeben. Also nicht verzagen und im Schornstein nachfragen. Wir mühen uns durch die schlechtbeleuchteten Straßen zum Restaurant Schornstein um dort lokales Bier zu trinken, den Bauch zu füllen und vielleicht einen hilfreichen Tipp auf ein freies Zimmer in der Nähe zu bekommen. Der Mann am Tresen hilft uns im besten Deutsch mit einer Infobroschüre von Pomerode aus, in dem wir viele hilfreiche Telefonnummern finden. Wir haben gerade bestellt und wollen eben die ersten Hotels anklingeln. Da grüßt vom Nachbartisch das frisch eingetroffene brasilianische Pärchen. "Aha, die Fotoreisenden, so so von Esslingen sind Sie?!" Wir sind sofort im Gespräch, nach zwei Minuten beim "Du" und nach etwa fünf Minuten schon eingeladen bei ihnen zu übernachten. Carolina und Carlos lebten und arbeiteten selbst über sechs Jahre in Deutschland nahe Ulm und freuen sich mit uns zu unterhalten. Wir sind überglücklich über die Gesellschaft und vor allem über das Übernachtungsangebot. Nach dem üppigen Abendessen im Schornstein verlagern wir die Gesellschaft in ihr Haus und genießen ihre Gastfreundschaft in vollen Zügen. Am nächsten Morgen verlassen wir im Starkregen Pomerode und wir hoffen alle sehr, daß wir uns vielleicht noch einmal treffen, ob in Brasilien, Deutschland oder Barcelona.

Die "Heimfahrt" über die kleinen Überlandstraßen zur Colonia Witmarsum ist erwartet zäh und wir kommen erst bei Einbruch der Dunkelheit an. Dafür ist die Freude Vroni und Gotthold zu sehen dann um so größer. Für Ellie, Isabel und mich sind die Ankünfte in Witmarsum ja fast schon Routine zur Routine geworden. Für Lesly und Pedro ist es allerdings ein besonderer Moment, sind sie doch das erste mal in ihrem Leben in Witmarsum.

Datum: 17.08.2014(Tag 95) - Tachometerstand: 239 290km - gefahrene Kilometer: 8250km / davon Europa 610km / Südamerika 7640km - Ort: Colonia Witmarsum (Brasilien)

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