Juwi mit den Zauberhänden

Nach unserem Ruhetag in Fort Nelson wollen wir eben wieder losrollen, als ich bemerke, dass die Bremsbacken an meinem Hinterrad schleifen!! Erst am Vortag hat Juwi zum wiederholten male an meiner Felge bzw. Speichen gebastelt und jetzt das!!! Keine 500m Radstrecke liegen hinter uns und ich muß bereits die hintere Bremse aushängen um nicht den Reifen zu ruinieren. Prima Start und es warten noch ca. 999,5km bis zum rettenden Radhändler in Whitehorse. Teilweise müssen wir in 20km-Abständen anhalten, das Gepäck abnehmen und dann die Speichen nachziehen, einmal sogar unweit eines Klee fressenden Schwarzbären. Bei Tageskilometer 104 müssen wir die Bremsbacken abmontieren, der eiernde Hinterreifen reibt jetzt sogar an den ausgehängten Bremsen. In Gedanken sehe ich mich schon mit ausgestrecktem Daumen an der Strasse stehen. Wir sind am einsamsten Abschnitt des gesamten Alaska Highway und ich habe einen Mega-Achter im Hinterrad. Besser hätten wir es nicht planen können!!!

Und Juwi schraubt und schraubt und tatsächlich „biegt“ er die Speichen noch einmal so hin, daß wir die restlichen 45km bis zum höchsten Punkt des Alaska Highway (1267m) am Summit Lake ohne grössere Probleme zurücklegen können. Nach dem netten Treffen mit dem Weltenbummler Günther aus Landsberg am selben Tag sind diese 45km ohne Reparaturpause ein erster Lichtstreif am Horizont. Als wir am selben Abend auf dem Zeltplatz auch noch von Arne und seiner freundlichen Familie zum Bier eingeladen werden, ist die Welt fast schon wieder rosarot. Noch einmal schraubt Juwi am nächsten Morgen, dann ist das Wunder vollbracht. Der Reifen eiert, doch er trägt mich tatsächlich weitere hunderte von Kilometern bis Whitehorse, unglaublich!! Nicht immer fühle ich mich wohl beim Radeln, vor allem als es mit bis zu 70km/h und nur einer funktionierenden Bremse die Rocky Mountain Pässe abwärts geht, aber die Landschaft lässt das unbehagliche Gefühl schnell vergessen. Nach dem langweiligen Dawson Creek – Fort Nelson Abschnitt, bietet die Fahrt durch die Rockies nach Watson Lake eine Menge Abwechslung. Büffel, Elche und Karibus kreuzen unseren Weg. Schneebedeckte Berggipfel wechseln sich mit wunderschönen Seen und Wäldern ab. Bei den Liard Hotsprings warten warme Quellen in wilder Natur auf die müden Reisenden.

Genauso interessant wie die Natur sind die Menschen je weiter wir nach Norden kommen. Wir treffen zwei witzige Japaner mit denen wir den Zeltplatz teilen, Beide wollen mit dem Fahrrad nach Argentinien. Tetsu transportiert mehr Gepäck als andere Leute mit dem Auto, sein Freund Hiro zeigt uns sein beschädigtes Zelt, das von einem Bär attackiert wurde. Kurz darauf lernen wir Tom Klein kennen, der zu Fuss von Alaska nach Florida unterwegs ist. Da er allein ist muss er sein Begleitfahrzeug selbst fahren. Er fährt fünf Kilometer, hält an, läuft die Strecke zurück um dann wieder zum Auto zurückzukehren und weiterzufahren.

Vor Whitehorse erreichen wir mit Hilfe manch barmherziger Kanadier, die uns, wohl aus Mitleid, wenn sie uns erschöpft am Strassenrand sehen, mit Kaffee oder Saft versorgen Watson Lake. Hier erwartet uns nach einer kalten Nacht (4°C), im berühmten Schilderwald mit tausenden Schildern aus aller Welt eine nette Überraschung! Nachdem wir zunächst neben vielen anderen deutschen Strassen schildern und Kennzeichen ein Ortsschild von Pforzheim finden, entdecken wir kurz darauf sogar einen Stadt Maulbronn Aufkleber; grandios!!

Zwischen Watson Lake und Whitehorse ist die Szenerie nicht mehr so spektakulär, dafür greifen die Moskitos zum letzten grossen Angriff. Eigentlich ist der Spuk so weit im Norden im August vorbei. Doch liegt es an dem feuchten Sommer oder sind es die letzten Zuckungen der Totgeweihten, in jedem Fall werden wir kurz vor Whitehorse noch einmal regelrecht aufgefressen. Zu den fiesen Schnaken gesellen sich, ein Unglück kommt selten allein, auch noch die schrecklichen Kriebelmücken. Die perfekte Horrorshow!! Welch Glück, das uns nach Tagen auf miesen Strassen der Flüsterasphalt vor Whitehorse schnell in die Hauptstadt des Yukon Territory rollen lässt. Ein interessantes Detail noch am Rande. Whitehorse beherbergt 24 000Menschen und damit einen Grossteil, der etwa 35 000 in Yukon lebenden Personen. Das Yukon Territory selbst besitzt eine Fläche, die weit über der Ausdehnung Deutschlands liegt!!!

Datum: 02.08.(Tag 116) - Tachometerstand Juwi: 8205km / Tachometerstand Rolf: 6086km - davon USA (Juwi) 4598km / davon USA (Rolf) 2614km - davon Kanada (Juwi) 3607km / davon Kanada (Rolf) 3472km - Ort: Whitehorse/Yukon (Kanada)

Reisen: