Der Küste entlang nach Norden

Die Gastfreundschaft bei den Familien von Martha und Carlos ist überwältigend. Marthas Vater Ivo macht für uns eine höchst spannende Stadtour durch Porto Allegre der etwas anderen Art. Wir sehen die Stadt von oben vom Hausberg, besuchen einen kleinen Wallfahrtsort, den riesigen katholischen Friedhof, der an einen Wohnblock erinnert, er verschafft uns Zutritt zum Gouveneurspalast, der eigentlich schon geschlossen ist und führt uns wie selbstverständlich im "Landtag" von Rio Grande do Sul mit dem zweiten Mann des Hauses zusammen. Carlos Familie versorgt uns drei Nächte mit einer super Unterkunft und organisiert zum Finale noch eine großeGrillsause für uns. Als wenn das nicht schon genug wäre, gibt es zum Schluss auch noch ein schönes Gastgeschenk für uns. Da fällt der Abschied entsprechend schwer, auch wenn wir endlich wieder etwas Richtung Sonne fahren wollen. Der Süden Brasiliens wird seit Wochen mit reichlich Regen versorgt und die Temperaturen erreichen selten die 20°C-Marke.

Zwei Fahrtage stehen an, dann sind wir in Canto Grande, im Bundesstaat Santa Catarina etwas nördlich von Florianopolis angekommen. Gerade rechtzeitig zum Viertelfinal-Anpfiff biegen wir auf den Hof des vereinsamten Zeltplatzes ein. Die Infrastruktur ist top und so kann ich mich im großen Fernsehsaal vor der Highend-Glotze auf den Knien kriechend ins Halbfinale zittern, während die Mädels auf dem Camping-Spielplatz auf dem kleinen tragbaren TV-Gerät das Spiel Deutschland-Frankreich 1:0 verfolgen. Das erhitzte Mütchen will ich mir dann anschließend zusammen mit Ellie und Isabel im Meer kühlen. Da sich Canto Grande auf einer schmalen Landzunge befindet haben wir die Luxusqual der Wahl zwischen 150m Fußweg zum Strand Richtung offenes Meer oder 250m zum Strand an der meerabgewandten Bucht. Die Wahl fällt nicht leicht, aber bei den Topstränden liegt man glücklicherweise mit keiner Lösung daneben.

Zwei Tage genießen wir das schöne Canto Grande, dann wollen wir mal eben noch ein paar Kilometer zu meinem Cousin nach Barra Velha flitzen. Die 90km, davon 70km auf edler Autobahn, sollten wir in einer Stunde abreiten können, zumal es Sonntag ist und nicht so viele LKWs unterwegs sind. Pustekuchen, der brasilianische Verkehr ist immer wieder für eine, oft auch negative, Überraschung gut. Knapp drei Stunden hängen wir in einem Stau fest, der einzig und allein durch eine Baustelle verursacht wird, die die Autobahn auf einen Fahrstreifen verengt. Die Stimmung im Fahrzeug bewegt sich irgendwo in Auspuffhöhe. Apropos Auspuff, der sorgt auch nicht für Erheiterung. Das teilweise abgebrochene Auspuffende bewirkt, dass Abgase in den hinteren Bereich des Fahrzeugs qualmen, was wir erst spät bemerken. Zum Glück erwarten uns bei Andreas lauter fröhliche Gesichter und Arinho und seine Frau, die ich bereits vom ersten Besuch in Barra Velha kenne, sind auch wieder zu Besuch (siehe - So ein Tag..). Arinho sorgt wieder für leckeres Churrasco Brasileiro und in Vorfreude auf das Halbfinale und zur Verbesserung der deutsch-brasilianischen Fanfreundschaft gibt es einen offiziellen Trikottausch. Der Stau ist längst vergessen und es herrscht wieder eitel Sonnenschein. Der herrscht doch sicher auch in unserem nächsten Ziel Paraty?! Im Gegensatz zu den südlichen Bundesstaaten Rio Grande do Sul und Santa Catarina haben die weiter nördlich liegenden Staaten Parana, aber vor allem Sao Paulo (wo eher schon die Wasserreserven zur Neige gehen) und Rio de Janeiro in den letzten Wochen eher trockene Tage gesehen. Voller Vorfreude auf Sonnenschein und Temperaturen um 30°C schaue ich bei Andreas noch schnell in die Wettervorhersage. Hätte ich nur nicht geschaut, das dauerschöne Wetter dort, scheint pünktlich mit unserm Eintreffen Geschichte zu sein mit angekündigtem Starkregen und fallenden Temperaturen. Naja, Bange machen gilt nicht, Vorhersagen liegen doch gerne auch mal daneben..

Von Barra Velha geht es am Folgetag bis nahe Santos, der wichtigsten Hafenstadt Brasiliens, die ich schon vor etwa vier Wochen gesehen habe (siehe - Santos). Wir übernachten an einem Posto/Tankstelle, die mit ihrer Infrastruktur immer eine gute Übernachtungsmöglichkeit bieten. Die Tour von Santos nach Paraty ist dann nichts für schwache Autofahrernerven. Das Navi versucht mich lange verzweifelt über Sao Paulo zu lotsen. Ich verweigere mich hartnäckig, da ich eine WM-Schlagzeile im Kopf habe, als wegen eines Brasilien-Spiels alle Leute gleichzeitig in den Feierabend fuhren und für einige Megastaus im Großraum Sao Paulo sorgten, die in der Summe sagenhafte 300km betragen haben sollen. Am Ende gibt das Navi nach und führt mich über die Küstenstraße. Allerdings hätte ich vielleicht doch dem Navi vertrauen sollen. Denn die kurvige Küstenstraße ist mit hunderten Bremshügeln geplastert, einzelne z.T. wunderschöne Buchten werden von bis zu 500m hohen Bergen getrennt, die so steil sind, dass wir sie nur im 2.Gang bergauf wie bergab bewältigen können und der versprochene Regen setzt ein. Immer wieder haben wir Tropenregen, der uns fast von der Straße spült. So ist die Fahrt an der Costa Verde, die als eine der schönsten Straßen der Welt gilt, für uns ein harter Kampf gegen die Uhr, wollen wir doch rechtzeitig Paraty zum Halbfinalspiel Deutschland-Brasilien erreichen.

Kurz vor Erklingen der Nationalhymne sind wir am Zeltplatz. Schnell in Schale werfen und raus an den Strand, wo einige Fernseher stehen. Vielleicht nicht ganz schlecht, dass ich nach meinem Trikottausch in brasiliengelb und die Mädels in deutschlandweiß auflaufen. Keine Ahnung wie die Einheimischen auf zu viele Deutschlandstrikots reagieren. Zum Spielverlauf muss ich wohl nicht viele Worte verlieren, den kennt sicher fast jeder Erdenbürger nach dieser legendären Partie. Wir sterben fast vor Ekstase, während neben uns eine junge Dame fast eine Herzattacke bekommt. Viele Tränen fließen, aber sonst nehmen die Brasilianer erstaunlich gefasst die Niederlage auf. Fast alle schauen das Spiel bis zum Ende, kaum einer motzt und Isabel und Ellie mit ihren schönen Trikots bekommen beim anschließenden Spaziergang durch den Ort viele lobende Worte, Glückwünsche und gute Wümsche für das Finale zu hören. Die Brasilianer sind ein erstaunlich guter WM-Gastgeber. Ich weiß nicht wie in Deutschland viele Fans (mich eingeschlossen) nach so einer Klatsche regaiert hätten? Ich selbst stehe nachts noch senkrecht im Bett, Paraty ist traumhaft schön und Deutschland ist nach einem 7:1 -Sieg gegen Brasilien ins WM-Finale eingezogen, genialometer!! Ein bißchen sehe ich das Ganze ja auch als meinen Verdienst. Noch mittags habe ich gedacht, wenn ich mich so über die Straßen quäle um den Anpfiff rechtzeitig zu erreichen, muss dieses Opfer doch auch etwas für das deutsche Team austragen. Ein klein wenig spiele ich jetzt auch noch mit dem Gedanken mit Stefan und Hendrik, die nach dem Spiel in Belo Horizonte auf dem Weg nach Paraty sind, am Wochenende nach Rio zu düsen um vor Ort noch nach Karten für das Finale zu schauen.

Der Folgetag reisst mich aber leider etwas aus meinen schönen Reise-, Fußball- und Finalträumen. Das schlechte Wetter hat uns eingeholt. Zum zweiten Halbfinale Holland-Argentinien schwemmt es uns fast aus der Strandbar. Doch das ist, wie sich später zeigt, noch unser kleineres Problem. Wir haben bei unserem Reisemobil die Dachluke offen stehen lassen. Wir haben einen Riesensiff im Auto, die Superstimmung vom Vortag scheint Lichtjahre entfernt und das WM-Finale interessiert uns aktuell nur peripher. Weiterer Starkregen ist angesagt, wie sollen wir da unser Fahrzeug in den Folgetagen nur trocken bekommen?

Datum: 09.07.2014(Tag 56) - Tachometerstand: 235 851km - gefahrene Kilometer: 4811km / davon Europa 610km / Südamerika 4201km - Ort: Paraty (Brasilien)

Reisen: 

Kommentare

Hallo Ihr drei, verfolge gespannt eure Berichte und bin ehrlich gesagt ganz neidisch. Gerne erinnere ich mich an meine Radreise durch Brasilien 2002, kurz nachdem wir im Finale gegen Brasilien verloren hatten und ich überall darauf angesprochen wurde- Fussball war damals ein wichtiger "Türöffner" .Kann mir lebhaft ausmalen wie es jetzt bei der WM war! Wünsche Euch noch viel spaß und freu mich auf neue Berichte - Juwi

Hei Juwi, schön von Dir hören!! Wir werden hier ständig darauf angesprochen, wo denn der verrückte Radfahrer von 2002 bleibt. Höchste Zeit, daß Du mal wieder vorbeischaust. Am besten bringst Du auch gleich noch Scholz (aus Mauretanien) mit.

WM war super, vor allem das Endergebnis ;-)) Ich denke, daß Du einen Großteil dazu beigetrunken hast;-)))

Allerbeste Grüße von Ellie, Isabel & Rolf