Ab in den wilden Osten

Noch einmal nehmen wir Kiew unter die Sohlen und latschen die ukrainische Metropole ausgiebig ab. Von den unter UNESCO-Schutz stehenden Höhlenklöstern geht es zur mächtigen Mutter-Heimat Statue und den diversen Denkmälern zum 2.Weltkrieg, der hier nur als der große Vaterländische Krieg bezeichnet und auf die Jahre 1941-1945 reduziert wird. Weiter marschieren wir zum 2200km langen Dnjepr, der mit einem grünen Band die Riesenstadt zerschneidet und erstaunlich intakte Natur nahe an die Innenstadt heranführt. Auf einer der vielen Dnjepr-Inseln liegt neben vielen Badestränden auch der weltberühmte Hydropark. Hier hat vor Jahren ein ambitionierter Muskelfreund aus altem Militärschrott einen Fitnesspark nach westlichem Vorbild aufgebaut. Archaische Hantelbanken drängen sich in Reihen, dazwischen muskelbepackte Einheimische die ihre Körper stählen. Diese Art der körperlichen Ertüchtigung steht in der Ukraine hoch im Kurs. Mit dem Bürgermeister Witali Klitschko haben die Kiewer dafür auch ein sehr sportliches Vorbild.

Wir kehren dem Zentrum der Stadt den Rücken, hoppeln über kaputte Straßen und vorbei an diversen Verkehrsunfällen, dann sind wir raus aus Kiew und es wird langsam einsam. Der Nordosten der ukrainischen Hauptstadt ist dünn besiedelt und der Grenzverkehr mit Russland, der politischen Eiszeit geschuldet (so vermuten wir), sehr reduziert. Wir treffen kaum andere Fahrzeuge und beziehen nahe der Grenze an einer heiligen Quelle unser Nachtlager. Wir füllen unsere Kanister literweise mit dem feinen Wasser, dem heilende Kräfte nachgesagt werden, für die Weiterfahrt. Scotty kann das Wasser gleich gut gebrauchen. Eine freche Wespe sticht im keck in die Hand. Eigentlich nichts tragisches für einen tapferen Mann wie Scotty, doch der Stich schwillt HeMan-mäßig an und plagt ihn einige Tage.

Wir verlassen die Ukraine ohne Probleme und auch die russischen Beamten sind uns wohlgesonnen und freundlich. Schnell ist der Einreisestempel im Pass. Doch die diversen Zollpapiere machen uns das Leben schwer. Ich verstehe nicht, warum ich alle Daten, die sowieso schon in meinem Pass und meinem Fahrzeugschein stehen noch einmal doppelt niederschreiben soll. Entsprechend lieblos bringe ich die Daten zu Papier. Prompt muss ich den unnötigen Papierkrieg fünf- bis sechsmal wiederholen, denn nicht der Inhalt scheint wichtig zu sein, sondern vor allem der Fakt, dass ich beide Ausführungen zu 100% identisch ausfülle. Ein kleiner Schreibfehler und ein durchgestrichenes Wort und schon darf man mit dem nächsten Formular von vorne anfangen. Es tröstet uns, dass ein slowakisches Team, das schon mehrere male in Russland war, ebenfalls lange am Zoll hängen bleibt. Die Beiden sind uns besonders dankbar, weil wir ihnen noch im Niemandsland mit dem Überbrückungskabel Starthilfe geben.

Nach 2,5h sind wir drin, wechseln schnell ein paar Euro in Rubel (was uns gar nicht so einfach fällt, da die Wechselstube selten schlecht zu finden ist) und machen uns dann auf den Weg zum Orlovskoye Polesye Nationalpark. Tatsächlich sind wir noch am Abend und nach vielem Suchen und Fragen im Park, der für seine Waldbisons/Wisente bekannt ist. Die Damen im Parkhotel, das wir für die Nacht aufsuchen, sind ausgewählt bemüht und hilfsbereit. Der Einstand in Russland ist vom Feinsten.

Mühsamer wird es schon am Folgetag. Kein Wisent taucht auf und die Weiterfahrt ist eine einzige Quälerei. Der Reiseführer beschreibt den Park als besondere Sehenswürdigkeit abseits der ausgetretenen Pfaden. Er hätte auch schreiben können Park irgendwo im nirgendwo nur über absolut bescheidene "Straßen" zu erreichen. So gurken wir mühseligst weiter, nur um in Bonxob von der Polizei gestoppt zu werden, die uns wiederum mitteilt, dass wir so ziemlich auf der letzten Piste Richtung Moskau unterwegs sind.

Alles egal, selbst die größten Pferdebremsen, denen wir je in unserem Leben begegnet sind, können uns nicht aufhalten. Wir ziehen zielsicher nach Nordosten und machen nahe Moskau im schönen Suzdal Station um zusammen mit hunderten russischen Nachwuchstalenten das Viertelfinale Russland-Kroatien im größten Touristenkomplex der Stadt anzuschauen. Im Ort läuft eine Art Schulolympiade und die besten Schüler messen sich in verschiedenen Disziplinen. Das muss aber heute Abend zurückstehen. Die ganze Hotel-Lobby ist voll auf das WM-Viertelfinale fokussiert. Ich bin begeistert von der Stimmung, die ich der schwermütigen russischen Seele gar nicht zugetraut hätte. Nach dem 1:0 für die Russen bebt das Hotel. Wie tragisch, dass die Kroaten das Spiel bzw. das Elferschießn noch umbiegen. Ich hätte mich schwer auf das Halbfinalerlebnis in Moskau gefreut. Mein erster Eindruck ist, dass die Russen ein mehr als würdiger WM-Gastgeber sind.

Datum: 07.07.2018 (Tag 14) - Tachometerstand: 319227 km - gefahrene Kilometer: 3250 km / davon Russland 870 km - Ort: Suzdal (Russland)