Triumph am Guallatiri

Das Fahren auf dem Altiplano ist entspannend. Lange Geraden auf relativ guten Straßen, wir kommen gut voran. Ein Bremsklotz wartet aber noch auf uns, die Durchfahrt durch Oruro. Die Stadt ist mit 250.000Einwohner nicht riesig und wir haben ja Navi, aber das ist schnell ausgehebelt, da der Verkehr wegen einer Riesenbaustelle umgeleitet wird. Mit gesundem Menschenverstand und etwas Orientierungssinn kommen wir dann dennoch relativ zügig durch die Stadt, aber es ist schon verblüffend zu sehen, das fast in der ganzen Stadt kein einziger Wegweiser die Richtung nach La Paz anzeigt. Besonders spannend wird es dann an der Ortsausfahrt. Die neue vierspurige Autobahn zwischen Oruro und La Paz ist fast fertig, aber eben nur fast. Wegen der mangelnden Ausschilderung weiß kein Mensch, wo er eigentlich fahren darf. Im Schritttempo der Stadt stört das nicht sehr, aber mit 80km/h auf der Gegenfahrbahn zu fahren ist etwas unheimlich. Hoffentlich wissen die Anderen auch, dass sie mit Gegenverkehr rechnen müssen.

Etwa 100km vor La Paz biegen wir bei Patacamaya in Richtung Arica/Chile ab. Vor 22Jahren bei meinem ersten Besuch in der Region benötigte man für die Fahrt von La Paz nach Arica ca. 18h und teilweise war nicht einmal eine richtige Piste auf dem Altiplano vorhanden, sondern lediglich Steinmännchen wiesen den Weg. Heute wartet auf bolivianischer Seite piekfeiner Asphalt, der die reine Fahrzeit auf ca. 6h reduziert. Für die Bolivianer, als Land ohne Zugang zum Meer, ist diese Route zum Pazifik eine enorm wichtige Transportroute. So kommt es, dass in dieser sonst fast menschenleeren Gegend überraschend viel (LKW-)Verkehr läuft. Spektakulär wird die Strecke wenn man sich der Grenze nähert. Hier beeindruckt der höchste Berg Boliviens, der Sajama mit seinen 6542m. Ursprünglich war geplant am Fuße des Berges in einem der kleinen Dörfer ein paar Tage zu übernachten und einen der umliegenden 6000er zu besteigen. Doch unsere technischen Probleme, meine aktuelle Aversion gegen bolivianisches Essen und mein malader Zustand lassen uns umplanen. Schon die Besteigung des Scheuelbergs (382m ü NN) nahe Maulbronn erscheint mir derzeit als unlösbare Aufgabe. Also lassen wir das Auto über den letzten Pass von 4500m klettern und sehen mit Schrecken wie viele Fahrzeuge an der Grenze von Chungara stehen. Doch es sind vor allem LKWs, die wir passieren können. Tatsächlich läuft für uns der Grenzübergang relativ zügig und glimpflich ab, wenn man vom obligatorischen Verlust von etwas Obst und Gemüse absieht. Schnell die Grenze hinter uns lassen und dann noch etwas Fotosafari machen durch den Lauca Nationalpark (Biosphärenreservat der UNESCO) der sich gleich anschließt und mit tollen Panoramen auf die Laguna Chungara oder die Vulkane Sajama und Parinacota (6342m) aufwarten kann. Wir wollen noch etwas Höhe verlieren, da unser Fahrzeug über 4000m zwar wunderbar läuft, aber nur mühsam startet. Kurz vor Putre finden wir dann einen schönen Platz im Gelände.

Am nächsten Tag rollen wir nach Putre und gönnen uns zur Erholung und wegen dem dringend benötigten Internetanschluss noch einmal ein Hotel. Das scheint uns gut zu tun. So gut, dass ich mich in dem kleinen Bergort nach einem Bergführer erkundige, vielleicht ist ja doch noch eine 6000er-Besteigung möglich. Wir finden einen Führer, der ungnädig teuer ist, aber schönerweise kann ich auch noch einen Amerikaner und einen Chilenen für die Idee begeistern, sodass sich die Kosten deutlich reduzieren. Wir fassen die Besteigung des Guallatiri ins Auge. Mit seinen 6071m ist er immerhin der dritthöchste Vulkan der Welt und einer aktivsten Vulkane Südamerikas, gleichzeitig aber wohl auch einer der am leichtesten zu besteigenden 6000er überhaupt. Unsere Herausforderung besteht darin, dass wir den Berg, der normalerweise in zwei Tagen bestiegen wird, an einem Tag meistern wollen. Mein Handicap ist außerdem die Tatsache, dass ich die letzten Wochen wenig Sport getrieben habe und vor allem erst vor ein Tagen mit einer schweren Magenverstimmung, die immer noch nicht ganz ausgestanden ist, im Bett gelegen bin. Als die anderen Bergsteiger erfahren, dass ich auch noch nie mit Steigeisen gestiegen bin, machen sie sich wohl ernsthaft Sorgen um meine Ambitionen. Der Bergführer wird gleich mal befragt, was denn wäre, wenn einer aus der Gruppe zurückbleiben sollte?

Frühmorgens um 2:00Uhr startet die Tour. Wir hoppeln 2h mit dem Pickup durch die Nacht, dann sind wir am Fuß des Berges. Beim Aussteigen fühle ich mich etwas mulmig; schlägt schon die Höhe zu? Außerdem ist es schweinekalt. Meine Nase läuft ohne Ende und der Rotz gefriert mir bei dem eisigen Wind an die Handschuhe, hoffentlich geht bald die Sonne auf! Die Kälte setzt mir zu, weit mehr als die Höhe oder die mangelnde Fitness. Der Bergführer ist ein erfahrener Mann und setzt ein ideales Tempo an. Fast im Schneckentempo kriechen wir den Berg hoch. Ich komme praktisch nicht außer Atem. Da wir kaum Pausen machen, gewinnen wir aber trotzdem schnell an Höhe. Zu meiner Überraschung bleiben Andre aus Boston und vor allem Fernando aus Santiago immer weiter zurück. Bis 6030m Höhe läuft die Tour fast so locker wie ein Kegelausflug bzw. die Besteigung des Scheuelbergs. Ich scheine eindeutig von unserem langen Aufenthalt in der Höhe zu profitieren, denn für die anderen beiden Kollegen beginnt schon der Überlebenskampf. Lange müssen wir auf sie warten bevor wir weiterkönnen. Doch jetzt wird es auch für mich hart. Bis zum Gipfel wartet noch eine lange Strecke durch das sogenannte Büßereis , eine gemeines Phänomen, das es vor allem in den Hochgebirgen der Tropen und Subtropen gibt. Zudem müssen wir vor dem Gipfel noch einmal absteigen und dann, wenn die Luft sowieso schon knapp ist, noch einmal ein zornig steiles Stück aufsteigen. Da die Sonne das Eis schon etwas weichgemacht hat, entscheiden wir uns gegen den Einsatz der Steigeisen. Die drücken mir dafür böse zusammen mit dem anderen Gepäck in den Rücken. Doch jetzt bin ich im Gipfelfieber. Egal wie anstrengend die letzten Meter sind, ich will nur noch hoch. Tatsächlich stehe ich kurz darauf stolz wie Harry auf der Bergspitze und genieße den Blick in die Ferne. Unten kämpfen Andre und Fernando, aus der Ferne wie Ameisen im riesigen Eisfeld aussehend, mit den Tücken des Büßereises. Vor allem Letzterer geht dabei wohl über seine Grenze. Er erreicht zwar den Gipfel in dem vom Bergführer vorgegebenen Zeitfenster, aber jetzt scheint die Kraft für den Abstieg zu fehlen. So wird der Rückweg teilweise dramatisch. Fernando fällt immer wieder weit zurück. Wir müssen lange warten, stützen ihn verschiedentlich und päppeln ihn mit unserem Essen auf. Auch ich spüre jetzt deutlich die Anstrengung. Das Laufen im Büßereisfeld fordert viel Kraft und volle Konzentration. Bei einem Sturz schürfe ich mir die linke Hand auf und komme kaum wieder in die Höhe. Auch Fernando liegt immer wieder am Boden, doch er ist ein echter Kämpfer und quält sich alleine den langen Weg ins Tal. Wie erschöpft er am Ende ist, zeigt sich als er selbst 10m vor dem Auto noch einmal eine Verschnaufpause einlegen muss. Egal, wir haben es geschafft und vor allem, im Vergleich zu vielen Anderen, an einem Tag!

Völlig unwirklich erscheint mir dann die Weiterfahrt am folgenden Tag. Durch die wüste und menschenleere Mondlandschaft geht es Richtung Arica. Die letzten Kilometer fahren wir dabei durch eine fruchtbare Flussoase, die sich als grünes Band durch die brottrockene Wüste schneidet. Kurz darauf sind wir das erste mal auf dieser Reise am Pazifik, wir haben jetzt Südamerika in der Breite durchschritten. Und während ich gestern um diese Zeit 6000m höher noch mit dem Büßereis gekämpft habe stehe ich jetzt mit Isabel und Ellie am wilden Pazifik und jage Möwen. Zwei Tage genießen wir den krassen Gegensatz zwischen Wasser und Wüste, dann machen wir uns für die Fahrt nach Norden/Peru bereit (für alle Fälle kaufen wir auch noch ein paar Stoßdämpfer bei Mercedes Kaufmann). Wir queren die gutorganisierte Grenze zwischen Arica und Tacna und machen im letztgenannten Ort gleich mal unliebsame Bekanntschaft mit dem rauen peruanischen Verkehr. Sind mir die Peruaner mit ihrer freundlichen Art gleich sehr sympathisch, so problematisch finde ich ihr fast schon pubertäres Fahrverhalten. Schnell Tacna hinter uns lassen und noch ein paar Kilometer weiterbummeln. Irgendwo in der Wüste an einer größeren Straßenkreuzung richten wir uns an einer Tankstelle, gut bewacht vom örtlichen Kampfhund, häuslich ein und Ellie begeistert am Abend die wenigen Einheimischen noch mit ihrem Feentanz.

Datum: 14.11.2014(Tag 184) - Tachometerstand: 246 942km - gefahrene Kilometer: 15902km / davon Europa 610km / Südamerika 15292km - Ort: Camiara (Peru)