Kapitaler Schiffbruch für ADAC Esslingen

Im Minikonvoi mit Corey machen wir uns auf die lange und einsame Fahrt Richtung Ollague/Uyuni (Bolivien). Die Strecke ist nur teilweise asphaltiert, aber gut zu fahren. Der Grenzübergang ist wenig frequentiert und so haben wir fast alle Zollbeamten für uns alleine. Die Stimmung am chilenischen Zoll ist etwas eisig und wir werden schon vor der Tür abgefangen. Im Gebäude kauern drei traurige mit Handschellen gefesselte Gestalten auf dem Boden. Auf der bolivianischen Seite werden wir freundlich empfangen. Allerdings ist die halbe Belegschaft gerade in der Mittagspause, sodass wir viel Zeit verlieren. Die können wir auf den ersten Kilometern in Bolivien auch nicht wieder gut machen, da die staubige Piste mit üblen Schlaglöchern versehen ist, die im hellen Mittagslicht kaum zu erkennen sind. Nach ca. 20km verbessert sich die Qualität der Piste enorm und stellt manche Straße in den Schatten, mit zeitweise bis zu 90km/h fliegen wir durch die schöne Landschaft. Etwa 80km vor Uyuni (unserem Etappenziel) nimmt dann die wilde Fahrt ein dramatisches Ende. Wir hören ein fieses Zischen, das wir nicht zuordnen können und haben das Geräusch schon fast wieder vergessen, da meine ich ein leichtes Schlingern des Fahrzeugs zu spüren. Sicherheitshalber bringe ich das Auto zum stehen und traue meinen Augen nicht. Wir haben einen kapitalen Plattfuß hinten rechts!! Corey ist schon weit enteilt, doch er bemerkt zum Glück unser Anhalten. Denn das bis eben noch so stolze, selbsternannte Team ADAC Esslingen, das etliche Fahrzeuge zwischen Sao Paulo und San Pedro flott gemacht hat ist nun gewaltig auf fremde Hilfe angewiesen. Weil wirklich kein Atom Sauerstoff mehr in unserem Reifen ist, liegt das Auto so flach, dass wir unseren Wagenheber nicht mehr unter die Achse bekommen. Zum Glück kann Corey mit seinem Wagenheber aushelfen und wir bekommen den Reifen relativ schnell gewechselt. Den linken Reifen der Hinterachse tauschen wir auch gleich noch aus, da die Ersatzreifen einen kleineren Durchmesser haben und wir unterschiedliche Reifengrößen auf einer Achse vermeiden möchten. Mit den neuen Reifen geht es relativ zügig weiter bis Uyuni, das wir kurz vor Sonnenuntergang erreichen. Duplizität der Ereignisse; bei meinem letzten Besuch in Uyuni 1999 wurden wir auf der gleichen Strecke nicht weit von unserem aktuellen Pannenort entfernt ebenfalls ausgebremst und unser damaliger Fahrer hatte innerhalb von 500m gleich zwei Plattfüße zu beklagen.

Es ist Wochenende in Uyuni und Montag ist Feiertag. Kaum ein Geschäft hat offen, das Flicken unseres Reifens müssen wir vorerst zurückstellen. Ich bin froh, dass wir wenigstens unser Auto für den Salzsee vorbereiten lassen können. Bei der "Versiegelung" des Unterbodens mit Öl nimmt allerdings der Fahrradträger Schaden. Nachdem wir unser Equipment bisher gut durch Südamerika gebracht haben häufen sich jetzt leider die Ausfälle. Nicht die Stimmung vermiesen lassen, der größte Salzsee der Welt wartet auf unseren Besuch. Frohgemut machen wir uns zusammen mit Corey gegen Mittag auf den Weg nach Colchane, wo man unbedenklich auf den weißen See einfahren kann. Doch die Stimmung sackt schnell in den Keller. Die läppischen 20km bis dorthin lassen Erinnerungen an Timbuktu 2006 wach werden (siehe
Mali 2006 ). Wellblech der allerübelsten Sorte macht das Fahren zum Nervenkiller. Die Geräusche werden so laut und das Auto lässt sich auf der Piste kaum noch kontrollieren, dass ich schon wieder das Übelste befürchte. Ich bringe das Auto zum Halten, haben wir schon wieder ein Platten? Die Reifen sind noch okay, doch aus einem Stoßdämpfer läuft ein wenig Öl. Ich habe schon so meine Befürchtungen, doch rede mir noch ein, dass Öl kommt von der vorigen Unterbodenbehandlung. Wir quälen uns bis zum Salzsee, dann hat der Hoppel-Spuk ein Ende. Der Einstieg ist durch ein paar Salzpfützen etwas kompliziert, dann kommt Genussfahren auf den Salzautobahnen. 70km rollen wir bis zu unserem Nachtlager an der Insel Incahuasi. Die Stimmung am Abend ist grandios und wir genießen den Sonnenuntergang in vollen Zügen. Ein leichtes Bauchgrimmen aber bleibt, müssen wir doch am folgenden Tag die gleiche Strecke wieder zurück nach Uyuni. Wie befürchtet holen uns die Probleme dann nach Verlassen des Salzsees gleich wieder ein. Kaum ein paar Meter gefahren wird klar, die hinteren Stoßdämpfer und zwar beide sind hinüber. Zum Glück sind wir im Team mit Corey unterwegs und gemeinsam zuckeln wir im Schneckentempo über den Rübenacker zurück nach Uyuni. Wir verabschieden uns von Corey, der eine Superunterstützung war und beziehen, damit wir uns mit dem Auto frei bewegen können, ein Hotel. Das beste Hotel am Platz hat aktuell kein Internet (das Isabel dringend benötigt). Das Hotel, das wir dann beziehen wirbt mit einem Parkplatz, den wir wegen der Höhe des Fahrzeugs aber nicht benutzen können. Die hochgelobte und dringend benötigte Dusche entpuppt sich als trauriges Rinnsal und das WiFi/Internet verdient den Namen nicht und bricht im Sekundentakt ab. Normalerweise alles Problemchen, die uns sonst nicht tangieren, aber bei unserem aktuellen Zustand verbessert sich unsere Stimmung dadurch nicht gerade. Dann mache ich mich auf die mühselige Suche nach einer Reifenreparatur. Trotz Feiertag finde ich eine "Werkstatt" (nicht mehr als ein staubiger Platz in einer Nebengasse versehen mit etwas Werkzeug), allerdings ist diese beliebt, es ist ja heute sonst alles geschlossen. Das bedeutet, alles läuft leicht chaotisch ab. Zwei/drei Handwerker arbeiten und etwa zehn Personen stehen herum und schieben ihre kaputte Reifen dazwischen. Da es vielen zu langsam läuft, versuchen sie selbst mitzureparieren. Auch ich muss immer wieder selbst mit Hand anlegen und die Reifen an mein Fahrzeug montieren, da der mir zugeteilte Arbeiter ständig abgezogen wird. Total erledigt ziehe ich dann vom Hof. Der kaputte Reifen wurde übrigens geflickt und aus Sicherheitsgründen als doppelte Sicherung gleich noch mit einem Schlauch versehen. Wir fahren jetzt also mit drei schlauchlosen Reifen und einem "Schlauch-Reifen".

Okay, die Reifenreparatur war noch die einfache Übung, aber was machen wir mit den Stoßdämpfern? Argentinien und Chile sind Sprinterländer, aber wir sind in der einsamen bolivianischen Hochebene und bisher habe ich im ganzen Land noch keinen einzigen Mercedes gesehen. Montag hat kein einziger Mechaniker offen und selbst am Dienstag scheint nicht viel zu gehen. Laut Aussagen Einheimischer sind die meisten Arbeiter wegen dem Feiertagswochenende noch irgendwo im Hinterland bei ihren Familien unterwegs; na super! Ich finde einen seriösen Platz, aber da stehen die Autos schon in Schlangen; wenigstens kann ich ein paar Infos abgreifen. Weiter durch die Mittagshitze zum Ersatzteilhändler. Wie erwartet haben sie natürlich nicht die richtigen Dämpfer, aber meinen, die könnte man schon "passend machen". Was bleibt uns übrig, knapp 1000km ohne Stoßdämpfer durch Bolivien weiter nach Chile zu gurken oder es mit einer improvisierten Lösung versuchen? Ich lasse mir eine gute Mechaniker-Adresse nennen und mache ich mich auf den Weg. Natürlich war die Beschreibung (wie leider so oft) fehlerhaft und ich lande in der letzten Klitsche des Ortes. Zu spät dämmert mir, das ich das richtige Ziel verpasst habe. Die "Werkstatt" gleicht einem Müllplatz. Der "Azubi" dreht mir mit dem falschen Schraubschlüssel fast die erste Schraube rund. Ich gehe schnell dazwischen und baue den Stoßdämpfer selbst aus. Endlich kommt der Chef und die Arbeit bekommt mehr Struktur. Allerdings bin ich ständig damit beschäftigt, alle Schrauben und Werkzeuge zusammenzuhalten, die von der Mannschaft ständig irgendwo im Staub verteilt werden. Die fast senkrecht stehende Sonne bohrt mir ein Loch in den Kopf und das Anpassen der Dämpfer zieht sich über etwa drei Stunden. Das ganze Prozedere spottet jeder Beschreibung, aber irgendwann sind die neuen Dämpfer am Fahrzeug. Ich traue der Arbeit nicht ganz und frage besorgt, ob die zusammengeschweißten Teile auch halten (geschweißt übrigens ohne jede Schutzbrille!!). Als Antwort erhalte ich die Auskunft, das hält mindestens 20Jahre. Nun gut, mag glauben wer will. Ich gebe ein ordentliches Trinkgeld, weniger für das Ergebnis als die schweißtreibende Arbeit mit liderlichstem Werkzeug.

Nach der Erledigung der lästigen Pflichten wollen wir noch einen Tag in Uyuni bleiben um auf dem Markt zu fotografieren und den berühmten Eisenbahnfriedhof zu besuchen. Doch erstens kommt es anders und zweitens als man denkt. Nachts höre ich Isabel aufstehen und übel husten, sie wird doch nicht krank werden? Nein, wird sie nicht, dafür muss ich um 5:00Uhr morgens raus. Mir ist etwas übel, ich setze mich auf die Schüssel. Erbrechen muss ich mich nicht, aber hinten läuft es mir raus, als wenn man einen Wasserhahn voll aufdrehen würde. Dieses Schauspiel wiederholt sich am Morgen noch 2x, dann scheine ich komplett leer zu sein. Ich fühle mich hundeelend und will nur noch ins Bett liegen. Jede Bewegung erzeugt maximales Unwohlsein und ich weiß nicht, wie wir am nächsten Tag weiterfahren, geschweige den die Folgetage Chile erreichen sollen.. Ellie ist wie so oft bestens gelaunt. Uyuni mit seinem Minirummelplatz und der super Wellenrutsche gefällt ihr prima und mit dem Sohn des Hauses kommt sie auch bestens klar. Mit dem Papi hat sie schon etwas Mitleid und fragt mich nachdem sie vom Spieli kommt ganz teilnahmsvoll, "ob denn mein letzte Tag gekommen sei?". Das ringt sogar mir in meinem maladen Zustand ein herzhaftes Schmunzeln ab. Allerdings verfliegt meine gute Stimmung gleich wieder. Ellie spielt an meinem Gürtel herum und verliert einen Stift. Mein Gürtel lässt sich nicht mehr schließen. Gerade nachdem ich nach meinem ungewollten Gewichtsverlust diesen am dringlichsten benötigen würde, ist er unbrauchbar. Ohne Gürtel kann ich mir aktuell tatsächlich die Hose ohne Probleme über die Hüften nach unten ziehen.

Nun gut, der Gürtel ist mein kleinstes Problem und ich erhole mich etwas dank der bewährten Therapie, "Schlaf ist die beste Medizin", tatsächlich einigermaßen. Da Isabel unseren Lotterladen trotz meines Ausfalls super zusammen hält, können wir tatsächlich daran denken am Folgetag weiterzufahren. 200 relativ einsame Straßenkilometer warten bis Potosi. Die nehmen wir ohne Probleme. Das Fahren in Potosi macht dann weniger Spaß. Obwohl wir auf einer wichtigen Fernstraße in die laut Reiseführer höchstgelegene Großstadt der Welt?? einfahren findet sich kein einziger Wegweiser. Zudem machen fiese Bremshügel das Fahren unangenehm. Einen überfahre ich zu forsch, was gleich wieder für ein gemeines Geräusch von der Hinterachse sorgt. Keine drei Minuten später haben wir uns wegen einer Baustelle auch gleich festgefahren. Ich bin froh als wir kurz danach die Stadt wieder hinter uns lassen. Ein paar Kilometer außerhalb machen wir Vesperpause und sicherheitshalber checke ich mal wieder die Hinterachse. Ich traue meinen Augen nicht, das gibt es doch nicht. Der Stoßdämpfer hinten links ist abgerissen und hängt nach unten. 20 Jahre Betriebsdauer waren versprochen, gerade mal 200km hat der Dämpfer gehalten. Am liebsten würde ich zurück nach Uyuni um den Salat zu präsentieren. Quatsch, ich will keinen Meter zurückfahren, schon gar nicht nach Potosi. Der nächste Ort der Hilfe verspricht ist aber noch 200km entfernt, Challapatta. Fahren mit nur drei Stoßdämpfer macht nicht viel Spaß, aber es geht, nur eben langsamer. Wir quälen uns mehrere Stunden durch wunderschöne Landschaften, aber leider in einem ewigen auf und ab über kurvige Straßen. Unser Schnitt liegt kaum über 40km/h. Am späten Mittag erreichen wir Challapatta und endlich gibt es die ersten Silberstreifen am Horizont. Wir biegen ein in den Altiplano. Auf der Hochebene kann man über feine Straßen gleich deutlich schneller fahren. Zudem finden wir einen patenten Mechaniker, der unseren Stoßdämpfer in kurzer Zeit überzeugend repariert. Auch der Polizist, dessen Straßensperre wir aus Versehen überfahren begegnet uns relativ entspannt. Wir finden einen schönen Nachtplatz am Salar Poopo und am Abend gibt es Nudeln mit Tomaten und ich habe sogar wieder richtig Appetit. Mein Stuhlgang ist noch ein Thema für sich, aber der Optimismus kehrt zurück. Wenn es morgen wieder so gut läuft, sollten wir bald wieder in das Land wo die schönen Sprinter wohnen (Chile) einfahren können. Wir genießen den wunderbaren Abend und fallen erschöpft in die Betten.

Datum: 06.11.2014(Tag 176) - Tachometerstand: 246 211km - gefahrene Kilometer: 15171km / davon Europa 610km / Südamerika 14561km - Ort: Poopo (Bolivien)

Reisen: 

Kommentare

Hallo ihr drei, kann gut mitfühlen bei dir Rolf - das hatte mich auch ein paar mal erwischt in Bolivien. Schöne Bilder und Berichte- weiter so ! Würde ich etwas unbezahlten Urlaub bekommen könnte ich kommen um den Sprinter zu richten - aber mein Chef ..... :-) Gute Besserung für Dich und den Sprinter - Juwi