Isabel geht in die Luft

In Puno machen wir die obligatorische Bootstour zu den schwimmenden Inseln der Urus. Diese Touren finden täglich zu dutzenden statt und so darf man kaum erwarten auf den Inseln unverfälschtes indianisches Leben vorzufinden. Die meisten Urus leben heute auf dem Festland und nur noch wenige auf den Inseln selbst. Dennoch ist es ein kein ganz alltägliches Erlebnis sich auf den Schilfinseln zu bewegen und der für die Besucher frisch zubereitete Fisch schmeckt äußerst lecker. Nach dem feinen Fischmahl geht es für uns zurück in unserem klapprigen Besucherkahn, der zwischenzeitlich sogar den Geist aufgibt. Besser gesagt der Motor gibt den Geist auf, das Boot hält zum Glück noch. Erst nach 10min bekommen die Jungs den Antrieb wieder flott, die Treibstoffzufuhr war wohl unterbrochen. Auch wenn die Bootsfahrt etwas rumpelig ist, bedeutet die Tour doch einen kleinen Rekord für uns, denn der Titicacasee ist das höchstgelegene kommerziell schiffbare Gewässer der Erde. Zugegeben diese Bestmarke klingt etwas konstruiert lässt sich aber so überall im Internet nachlesen. Spannender finden wir da allerdings schon die Geschichte der MS Yavari, die vor unserem Nachtlager vor Anker liegt und auf Besucher wartet. Das Schiff wurde 1862 in Auftrag gegeben, schnell in England fertiggebaut und war dann eine halbe Ewigkeit in Einzelteilen zerlegt zuerst mit dem Schiff und dann von Arica bis Tacna mit dem Zug unterwegs. Die letzten 400km ging es auf den Rücken von Eseln über Pässe von 4700m nach Puno. Läppische 60PS hatte der Dampfer und wurde mit Lamadung befeuert. Erst 1870 ging die gute Yavari zu Wasser.

Wir lassen den Titicacasee, die MS Yavari und vor allem die nette Familie aus Bristol, die ebenfalls in Puno übernachtet hat hinter uns und fahren über den Altiplano nach Moquequa. Die Strecke ist sehr einsam und führt durch eine Mondähnliche Landschaft. Von über 4500m geht es dann in wenigen Kilometern hinunter auf etwa 1000m in die schöne Flussoase bei Moquequa. Das saftige Grün tut gut, wenn man aus der kargen Höhe kommt. Wir finden eine Bodega im fruchtbaren Tal, kaufen noch schnell peruanischen Wein und Pisco und düsen dann zur Tankstelle und Kampfhund, die wir von der Hinfahrt schon kennen. Auch den Grenzübergang Tacna/Arica kennen wir schon, dennoch nervt die übliche Obst- und Gemüsekontrolle wieder. Auch Honig steht auf der Liste der verbotenen Güter. Allerdings haben wir unseren Honig vor Wochen noch in Chile gekauft und so kommt der Kontroletti ganz schön ins Schwitzen bei der Frage, ob wir den Honig behalten können oder er ihn beschlagnahmen muß. Am Ende dürfen wir ihn behalten und rollen gemütlich nach Arica.

Auch in Arica setzen wir auf Bewährtes und steuern den bekannten Zeltplatz an. Eigentlich wäre jetzt etwas Entspannung nach vielen Fahrkilometern angesagt, doch zwei kleine kuriose Unannehmlichkeiten stören den Lagerfrieden. Zuerst rollt uns ein Fahrzeug hinten auf die Anhängerkupplung. Natürlich nimmt unser Schlumpf keinen Schaden, aber ich bin schon etwas befremdet, denn der fremde Wagen rollt etwa 10m und der (vermutlich leicht betrunkene) Fahrer sitzt dabei am Steuer und registriert erst nach dem Aufprall die Alleinfahrt des Autos. Das zweite Erlebnis ist dann tierischer Art. Ich sitze abends noch draußen und schreibe in der Dunkelheit Tagebuch, da umflattert ein Nachtfalter meinen Kopf. Er setzt sich auf mein Ohr und bevor ich reagieren kann scheint er verschwunden. Ich habe ihn fast schon wieder vergessen, da habe ich das Gefühl es bewegt sich was an/in meinem Ohr. Normalerweise bin ich mit Insekten relativ entspannt und fummle nur etwas an meinem Ohr herum. Das scheint den Falter aber in die Enge zu treiben und der klettert noch tiefer in meinen Gehörgang, welch ungutes Gefühl. Dann fängt er direkt neben meinem Trommelfell auch noch panisch an zu flattern, aah ich drehe durch! Meine Lockerheit ist völlig drin, wie den Kumpel dort rausbekommen ohne ihn weiter in das Ohr reinzutreiben. Ich rufe Isabel um Hilfe, die auch erst einmal anfängt in meinem Ohr rumzufingern. Nein, so gräbt er sich erst richtig ein! Isabel zieht dann an meinem Ohrläppchen und versucht meinen Gehörgang zu weiten, während ich die Nase zuhalte und versuche Luft durch die Ohren nach außen zu pressen. Nach einer gefühlten Ewigkeit kommt das einfältige Insekt endlich wieder rausgeklettert. Boah, ich bin echt megaerleichtert. Das Schicksal von John, der mit Mitfahrer reist, bleibt mir vorerst erspart.

Von Arica fahren wir durch die menschenfeindliche Ödnis der Atacama-Wüste in Richtung Iquique. Am Abzweig von der Ruta 5 besuchen wir die unter UNESCO-Schutz stehenden Salpeterwerke der Oficina Humberstone. Werk und zugehörige Siedlung sind seit 1961 verlassen und dem Verfall preisgegeben. Mittlerweile ist das Geisterdorf als Museum der Öffentlichkeit wieder zugänglich und in Teilen restauriert. Der Besuch der alten Wohnungen, Theater, Kirche, Kraftwerk und Werkstätten ist sehr interessant und wir bleiben lange in den Ruinen. Der Einfachheit halber schlafen wir dann gleich mal nebenan auf dem Besucherparkplatz. Das scheint meinem linken Falterohr nicht gut zu bekommen. Als ich morgens aufwache scheint dort wieder Leben zu existieren. Ich habe Ohrschmerzen und das Gefühl es bewegt sich etwas im Gehörgang. Sind die Geister von nebenan eingestiegen oder hat der Arica-Falter bei seinem Besuch dort Eier abgelegt? Kein schöner Gedanke. Ich bearbeite an dem Tag mehrfach mein Ohr mit einem Wattestäbchen, dann scheint das Problem zum Glück dauerhaft behoben.

Von der Oficina sind es noch ca. 40km auf der Hochfläche, dann geht es über Alto Hospicio spektakulär von 1000m runter auf Meereshöhe nach Iquique. Die etwa 200.000 Einwohner große Stadt liegt grandios zwischen Meer und Küstengebirge. Dazwischen schiebt sich noch eine gewaltige Sanddüne, die bei der Paris-Dakar 2015, bei der Iquique wieder ein wichtiger Etappenort ist, sicher wieder zu Ehren kommen wird. Die Düne erinnert einen deutlich daran, dass Iquique trotz aller Meeresnähe eine reine Wüstenstadt ist. Bescheidene 0,6mm Jahresniederschlag und 0,5 Regentage weist die Klimatabelle für die Stadt aus. Zudem befindet sich die Stadt in einer erdbebengefährdeten Zone. Erst im April diesen Jahres wurde die Stadt von einem Seebeben der Stärke 8 heimgesucht. Trotz dieser gewaltigen Stärke weist die Stadt kaum Schäden auf. Die Chilenen sind also erdbebengebeutelte Nation relativ gut auf diese Naturkatastrophen vorbereitet. Die Aufstiegsstraße nach Alto Hospicio wurde allerdings in Mitleidenschaft gezogen und ist immer noch Baustelle. Dort hängen wir fest als wir mit Jussi und Team zur Gleitschirmabsprungstelle fahren. Iquique ist mit seinen stetigen Aufwinden Gleitschirm-Eldorado und Isabel darf, nachdem sie wegen Ellie manchmal ungewollt in die Luft geht, heute ganz freiwillig abheben. Im Tandemflug mit Javier schwebt sie am Nikolaustag von Alto Hospicio runter an den Strand von Iquique.

Datum: 06.12.2014(Tag 206) - Tachometerstand: 249 161km - gefahrene Kilometer: 18121km / davon Europa 610km / Südamerika 17511km - Ort: Iquique (Chile)

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