Timbuktu - oder wie man Reiseführer zwischen den Zeilen liest (Autor: Oliver Handlos)

"In Timbuktu tut sich so unheimlich viel!" (Irene, Entwicklungshelferin aus der Schweiz)

Erzählt man Interessierten, dass man nach Mali reise, so wissen viele nicht genau wo das liegt und fragen nach - sofern sie nicht Bali verstanden haben. Anerkennendes Nicken setzt dann ein, wenn man sagt "in Mali liegt Timbuktu, am Niger". Timbuktu - das hat Klang und Rang im Traveller-Ranking. Timbuktu - das ist "das Ziel aller Sehnsüchte" (Reise Know-How "Westafrika"). Timbuktu - "a fascinating place unlike all other places in the Sahara" (Lonely Planet)."Timbuktu" - so heißt auch ein Roman des Amerikaners Paul Auster, über einen gleichnamigen Hund. Da brauchten wir schon weit weniger Argumente, um einen fernen Ort zu besuchen. Und fern ist Timbuktu. Am so genannten Nigerknie liegt es im zentralen Mali und markiert die Grenze zwischen Sahel und Sahara. So manifestiert sich ein Großteil der "Faszination Timbuktu" in seiner Schwererreichbarkeit. Und was man schwer bekommt, das will man meist besonders gerne.

Die Faszination beginnt gleich hinter der Tankstelle in Douentza, hier biegt man ab und dann geht es immer nach Norden - in rhythmischer Wellenbewegung auf einer sympathischen Wellblechpiste. Gute 5 Stunden prügelt die Wegstrecke der Art auf Fahrzeug und Insassen ein, dass es einem die Amalgamfüllungen lockert. Das alles in einer Gegend, die aussieht wie ein Atomwaffentestgelände. Schutt und Dörre, bedeckt von einer Sorte Staub, verglichen damit der berüchtigte deutsche Feinstaub eine Atemwegs-Wellness-Packung ist. Hier erlebt man zum ersten Mal Timbuktus viel zitierten "Flair des Zeitlosen", denn zeitlos sollte man auf dieser Piste sein. Die Fauna ist reich wie selten: Ziege, Esel, Kuh. Die Flora, wenn vorhanden, perfides Dorngestrüpp, das sich durch alles bohrt, ob Reifen oder Fleisch. Aber man ist ja nicht alleine. Immer wieder stauben überholend einheimische Toyota Geländewagen vorbei, versuchen mit toxischer Geschwindigkeit das Wellblech zu besiegen - ab 90 km/h soll es weniger... An Bord: Weltmusik liebende Ullas und Sybilles, die "das echte, ursprüngliche Afrika finden wollen" - oder halt mal so richtig Befreiungstrommeln im Wüstensand (ja, der Autor ist voreingenommen). Aber erst einmal trommelt nur das Blech, stundenlang. Bis man den trockenzeitmüden Niger erreicht, der hier schon lange keine Lust mehr hat, in irgendeine Richtung zu fließen. Dort sieht es zuerst überraschend lieblich aus. Sanddünen am Ufer, Eukalyptuswäldchen hier und da, Kühe malmen angezählt das Ufergras - hoffend, dass sie nicht Tage später aufgebläht, leblos am Pistenrand liegen, erlegt von einem der Toyotas. Keimt beim Anblick der Landschaft Hoffnung so vertrocknet diese am anderen Ufer mit zunehmender Entfernung von diesem. Denn Timbuktu liegt schon lange nicht mehr am Fluss. Dem Fluss war es wohl zu trostlos. Timbuktu liegt jetzt dort, wo die Wüste noch nicht Sand, sondern Staub ist: genauer ein fein gemahlenes Gemenge aus trockenem Kot oben erwähnter Fauna, Lehm, Zivilisationsmüll. Diese Mischung ist die Substanz der Stadt, bildet Mauern, brennt in den Augen, vernebelt die Sicht und knirscht im nach Ziegenstall schmeckenden Brot. Mit zusammengekniffenen Augen schlürft man durch die versandeten unbebauten Flächen (Straßen wäre zuviel gesagt) - auf der Suche nach dem "Mythos Timbuktu". Der hängt in Form einer toten ausgetrockneten Katze an einer der neuen Stromleitungen, versumpft im bläulichen Schlamm der Hausabwässer auf den Plätzen, verschwindet hinter einem der unzähligen Hilfsorganisations-Reklametafeln. Kurz gesagt: Nichts, aber auch gar nichts lässt erahnen, dass man auf einem UNESCO Weltkulturerbe (seit 1993!) wandelt. Timbuktu, das ist die Stadt der nicht eingehaltenen Versprechungen, die Stadt des irrealen Konjunktivs. Timbuktu soll einmal 100.000 Einwohner gehabt haben, heute sind es 15.000. Die "hängenden Gärten" ? – sind im Regen 2004 auf nimmer Wiedersehen weggeschwemmt worden. Die "Stadtpaläste" - abgerissen, überbaut, oder sehen aus wie ein mauretanischer Grenzknast. Die Djinger-Ber Moschee - wie eine schlechte lieblose Kopie der in Djenne. Und in der Altstadt ist das Älteste, das auf dem Markt angebotene Gemüse. "Timbuktu, das Ziel aller Sehnsüchte"? Ja, Sehnsüchte hat man hier - nach allem was nicht Timbuktu ist. Timbuktu, das ist das Pforzheim der Sahara. Pforzheim war auch einmal schön. Aber vielleicht waren wir auch zu kurz in der Stadt - wie Lonely Planet vorwegnehmend Kritik an Timbuktu erklärt und verklärt. Der wahre Zauber offenbare sich eben nicht in ein, zwei Tagen - uns reizüberfluteten Erlebnistouristen. Vielleicht haben die vom Einsamen Planeten Recht: Unbestätigten Berichten zu Folge soll es in Timbuktu doch etwas Sehenswürdiges geben: Das ehemalige Wohnhaus Heinrich Barths, einem deutschen Afrikareisenden. Das Originalhaus steht wohl nicht mehr, aber ein kleines Schild soll noch zu finden sein, sagt man.

Anmerkung der Weltreisenden: - Der Beitrag wurde von unserem Mitreisenden Oliver Handlos verfasst und von unserer Seite nicht zensiert. Die angehängten Bilder sind Impressionen aus Timbuktu und Umgebung. - Bild 28 zeigt Proland, wie er erheitert die Reiseführerbeschreibung von Timbuktu liest und mit der Realität vergleicht. Bei der Gelegenheit wurde auch die Audiodatei "Lachen-Timbuktu" aufgenommen. - Die Audiodatei "Wellblechpiste-Timbuktu" wurde während der Fahrt von Timbuktu nach Douentza im "Krötle" aufgenommen.

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